Die Türe öffnet sich, ein ernstes Schweigen erfüllt den Raum, alle Blicke sind nach vorne gerichtet: Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, nimmt Platz und stellt diversen Arbeitgeberverbänden ihr neues Rentenpaket vor. Doch noch während das Echo der abschlagsfreien Rente mit 63 durch die Hallen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales tönt, prophezeien Kritiker bereits eine Arbeitsmarkt-Renten-Apokalypse biblischen Ausmaßes: durch dieses viel zu teure Konzept werde die nachhaltige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme gefährdet. Eine Ungerechtigkeit par excellence werde entstehen, da die junge Generation zu stark belastet werde, während die ältere Generation ein Geschenk bekomme, das seines gleichen sucht. Ungerechtigkeit? Nun mal nicht so stürmisch…
Das Rentenkonzept und wer davon profitiert
Es wurde am 23. Mai 2014 vom Bundestag abgesegnet und ist am 1. Juli 2014 in Kraft getreten – das neue Rentenpaket. Monatelang wurde hin und her debattiert, Kritiker schossen von allen Seiten, doch letztendlich ließ Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Rente mit 63 Wirklichkeit werden. Neben der Mütterrente und Erwerbsminderungsrente bildet die Rente mit 63 das Kernstück des neuen Rentenpakets der Großen Koalition. Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben, können bereits mit 63 Jahren in den Ruhestand gehen und ihre verdiente Rente ohne jegliche Abschläge oder Kürzungen beziehen. Eine Besonderheit bei dieser Regelung ist es, dass der Berechnung der 45 Beitragsjahre u.a. auch Zeiten der Kindererziehung und Zeiten der Kurzarbeitslosigkeit, in denen Lohnleistungen bezogen wurden, mit berücksichtigt werden.
Wer profitiert nun von der abschlagsfreien Rente mit 63? Kritiker werfen Andrea Nahles vor, dass nur ein Bruchteil der Bevölkerung davon profitieren werde. Doch tatsächlich können anfänglich bis zu 200.000 Personen pro Jahr in den Ruhestand gehen. Im Vergleich: Die Deutsche Rentenversicherung errechnete, dass im Jahr 2013 insgesamt ca. 1,2 Millionen Menschen in Rente gingen. Wenn ein Sechstel der Rentenzugänge Profiteure der Rente mit 63 sind, dann ist dies wahrlich keine zu vernachlässigende Größe.
Generationensolidarität und Wertschätzung
Die abschlagsfreie Rente mit 63 koste Milliarden von Euro, klagen ihre Kritiker, genauer gesagt: insgesamt 160 Milliarden Euro bis 2030. Doch ist dies eine zu große Zahl? Zunächst ist erwähnenswert, dass 55 der 160 Milliarden Euro von den Rentnern selbst gezahlt werden. Somit fallen nicht alle Kosten auf die jüngeren Generationen, sondern es kommt zu einer Belastung breiter Bevölkerungsschichten. Darüber hinaus sind die Rentner keine Bittsteller des Rentensystems, sondern haben durch ihre eigenen Beitragszahlungen während ihres Arbeitslebens gesetzlich verbriefte Rentenansprüche erworben. Natürlich haben auch die Mitglieder der Jahrgänge 1951 und 1952, die am stärksten von der Rente mit 63 profitieren werden, ihre Beiträge erbracht. Nicht nur in die Rentenkassen, sondern auch für unser Land. Wer 45 Jahre lang seine Beiträge gezahlt hat, der hat den Generationenvertrag erfüllt. Derjenige, der jahrelang in das Rentensystem eingezahlt hat, hat neben einem rechtlichen auch einen moralischen Anspruch auf seine Rente. Bundesarbeitsministerin Nahles bringt dies auf den Punkt: Die Rente mit 63 „ist nicht geschenkt, sondern verdient“. Wie wahr!!
Auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gibt der Rente mit 63 Rückendeckung: Laut dem Deutschlandtrend des ARD-Morgenmagazins halten 73% der Deutschen die Rente mit 63 für richtig. Und was sagt die vermeintlich so sehr über die Kosten dieser Maßnahme empörte junge Generation? Sagenhafte 64% der Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren befürwortet das Konzept von Andrea Nahles.
Wer sehr jung in den Beruf einsteigt, erreicht irgendwann die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit. Zum Beispiel sind nahezu alle Dachdecker mit 60 Jahren an diesen Grenzen angekommen. Diese Menschen arbeiten in der Regel bereits seit sie 16 oder 17 Jahre alt sind. Sie haben unser aller Solidarität verdient. Wenn wir schon Milliarden von Euro ausgeben, um seelenlose Banken und ganze Staaten vor dem Bankrott zu bewahren, um wie viel wichtiger ist es, unseren älteren Mitbürgern die wohlverdiente Rente zu ermöglichen, die 45 Jahre lang fair und zuverlässig ihren Beitrag geleistet haben?
Warum eine Frühverrentungswelle nicht zwangsläufig eintreten muss
Viele sehen das bedrohliche Damoklesschwert einer Frühverrentungswelle über dem Kopf des Rentensystems schweben. Doch das Schwert muss nicht fallen. Es ist zwar richtig, dass die Versuchung groß ist, früher in Rente zu gehen, doch der Gesetzgeber hat klare Spielregeln formuliert, um eine drohende Welle der Frühverrentung zu vermeiden: Die Altersgrenze von 63 Jahren gilt nur für die Geburtsjahrgänge 1951 und 1952. Sie steigt für spätere Jahrgänge jeweils in Zwei-Monats-Schritten. Arbeitnehmer des Jahrgangs 1964 könnten dann mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen. Dies stellt eine natürliche Reaktion auf den demographischen Wandel dar. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die der demografische Wandel nötig macht, wird auch bei der Rente für langjährig Beschäftigte nachvollzogen. Alle Jahrgänge, die nach 1952 geboren wurden, werden länger arbeiten. Somit wird die Renteneintrittsgrenze der Demographie angepasst. Der Ausdruck Rente mit 63 ist insofern irreführend, was zur allgemeinen Verwirrung und zu – gewollten? – Missverständnissen beigetragen haben mag.
Es wird auch – anders als gelegentlich dargestellt – kein 63-Jähriger gezwungen, beim Erreichen dieses Alters sofort Rente zu beziehen, bloß weil er 45 Jahre Beiträge in die Rentenkassen gezahlt hat. Geld ist nicht alles auf der Welt. So zeigt eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsentwicklung, dass jeder Vierte der 60-70-Jährigen ein großes Interesse an einer längeren Lebensarbeitszeit hat. Die wichtigsten Gründe dafür sind Glückfaktoren wie soziale Kontakte und Spaß an der Arbeit und nicht die Entlohnung.
Mit anderen Worten: Nur weil es das Angebot einer abschlagsfreien Rente mit 63 gibt, heißt das noch lange nicht, dass die erwartete Nachfrage ausgesprochen hoch sein muss. Menschen, die länger arbeiten wollen, können dies auch tun. Arbeitsverhältnisse können rechtssicher fortgesetzt werden, wenn die Regelaltersgrenze erreicht ist. „Wer 45 Jahre hart gearbeitet hat, kann früher ohne Abschläge gehen, wer noch fit ist und weitermachen möchte, soll länger arbeiten dürfen“, so Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles.
Nun gibt es aber Kritiker, die argumentieren, dass eine drohende Frühverrentungswelle vor allem die Industrie und das Handwerk treffen würde. Dieses Argument ist aber nicht zielführend, vielmehr ist es so, dass kein Arbeitgeber am 30. Juni vor dem leeren Arbeitsplatz seines Mitarbeiters stehen wird. Seit die Rentenreform in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden ist, haben sich Arbeitgeber damit beschäftigt. Der kluge Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer nicht früher ziehen lassen möchte, hat spätestens seit diesem Zeitpunkt alle Anstrengungen unternommen, um seine älteren Beschäftigen im Betrieb zu halten. Selbst wenn dies nicht gelingen sollte, so fällt die deutsche Konjunktur nicht in den Brunnen aufgrund eines plötzlichen Fachkräftemangels. Man muss das Glas nicht als halb leer, sondern als halb voll betrachten: Menschen, die Jahrzehnte lang hart gearbeitet haben, können ihre Arbeit nicht mehr ganz so effizient und effektiv verrichten. Haben sie nun die Möglichkeit in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen, dann werden ihre Arbeitsplätze von jüngeren Menschen besetzt. Fehlt es dann noch an Fachkräften, so bietet das Zuwanderungsgesetz eine Reihe von Möglichkeiten, einem drohenden Fachkräftemangel zu entgehen. Die derzeit sehr hohe Zuwanderungsrate hat hierzu selbst in der ganz kurzen Frist hervorragende Möglichkeiten eröffnet, den Fachkräftemangel abzufedern.
Fazit
Das Konzept der Rente mit 63 ist die Anerkennung an hart arbeitende Menschen. „Wir können ein deutliches Signal setzen, dass vom Wohlstand in diesem Land auch diejenigen profitieren, die ihn mitgeschaffen haben“, so Andrea Nahles. Dabei soll und wird niemandem etwas geschenkt werden. Wer 45 Jahre lang seine Beiträge gezahlt hat, der hat seinen Teil des Generationenvertrags erfüllt und den Grundstein für die gute wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes mitgelegt, was zu unser aller Wohlstand beigetragen hat. Es liegt nicht nur im Sinne der älteren Generation, dass in Zukunft jeder nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen kann. Auch bei der jüngeren Generation, den Rentnern von morgen, findet dieses Prinzip großen Anklang. Mit der abschlagsfreien Rente mit 63 stärkt die Große Koalition eines der wichtigsten Grundprinzipien unserer Gesellschaft: Die Rente ist der Lohn für die individuelle Lebensarbeitsleistung!
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