Horst Meier aus Sindelfingen ist glücklich. Der Gewerkschaftler ist Facharbeiter bei Daimler und Mitglied der IG Metall. Er zahlt seit 42 Jahren seine Rentenbeiträge und kann nun dank dem neuen Rentenpaket, das am 23. Mai dieses Jahres mit großer Mehrheit von der Großen Koalition verabschiedet wurde, in drei Jahren abschlagsfrei in den Ruhestand gehen. Seine jahrelange Arbeit wird nun von der Politik anerkannt und belohnt. Und so wie in diesem Beispiel geht es vielen, die früh angefangen haben zu arbeiten und jahrzehntelang Beiträge zahlten. Doch was bedeutet Horst Meiers persönliches Glück für unsere Gesellschaft und vor allem für die jüngere Generation? Entgegen aller Sachverständigengutachten und sogar entgegen mancher Stimmen aus den eigenen Reihen beschloss die Bundesregierung das teure Rentenpaket und verprellte so unter anderem das jahrzehntelange SPD-Mitglied Franz Ruland, der 14 Jahre lang die Deutsche Rentenversicherung leitete und der sich nach eigener Aussage nicht mit einer Politik identifizieren kann, die, „die Erfolge der auf nachhaltige Finanzierung bedachten Rentenpolitik der letzten 20 Jahre zunichte macht“.
Das Konzept und die Rolle rückwärts der Politik
Das neue Rentenpaket beinhaltet unter anderem die Rente mit 63 Jahren. Danach sollen Arbeitnehmer, die 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, ohne Abschläge im Alter von 63 Jahren in den Ruhestand gehen dürfen. Zu den 45 Jahren zählen auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen Lohnleistungen bezogen wurden. Dies gilt für diejenigen, die bis einschließlich 1952 geboren wurden. Es profitieren de facto also nur zwei Jahrgänge – 1951 bis 1952. Was soll das? Warum wird ein solches Rentenpaket mit großer Mehrheit beschlossen? Um zu verstehen, warum Andrea Nahles und ihre Partei so verbissen für die Rente mit 63 plädierten, muss man einen Blick in die jüngste Parteigeschichte der SPD werfen. Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde 2006 vom damaligen Bundesarbeitsminister Franz Müntefering die Rente mit 67 eingeführt, um den absehbaren demografischen Wandel mit seinen stetig steigenden Rentenbezugszeiten abzufedern. Eine Entscheidung, die dem typischen SPD-Wähler, einem Gewerkschaftler wie Horst Meier, so gar nicht gefiel. Die Partei entfremdete sich immer mehr von ihren Wählern und wurde folglich von ihnen abgestraft. In den darauffolgenden Jahren fuhren die Sozialdemokraten die schlechtesten Wahlergebnisse ihrer Geschichte ein. Diesen wahltaktischen Fehler erkannte man in der SPD und fragte sich: Wie bekommen wir die Gewerkschaften und somit unsere Wähler wieder ins Boot? Frau Nahles wusste die Antwort: Es muss ein Wählergeschenk her! Die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren ist also als Investition der SPD in ihr Wählerpotential zu sehen. Ein Blick auf die Altersstruktur der Sozialdemokraten und ihrer Wähler bestätigt dies. Das Durchschnittsalter eines SPD-Wählers ist mit 53,5 Jahren relativ hoch und somit sind diese sicher von einem solchen Wählergeschenk angetan. Doch die Rentenreformen der letzten Jahre und das Bemühen der Politik, die Erwerbsphase durch die Rente mit 67 zu verlängern, stehen damit nun im kompletten Widerspruch zu Frau Nahles neuem Rentenpaket. Die jahrelangen Versuche, ältere Menschen zum längeren Arbeiten zu bewegen und den Folgen des demografischen Wandels entgegen zu wirken, wurden mit diesem Beschluss von jetzt auf gleich zunichte gemacht. Einmal mehr ist mit Unbehagen zu beobachten, wie Politiker Klientelpolitik betreiben und sich vor notwendigen und zukunftsorientierten Entscheidungen drücken. Verantwortungsvolle Politik weicht immer wieder engstirnigem Machterhaltungskalkül.
Fachkräftemangel und dazu noch eine Frühverrentungswelle
Ein Gutachten des Sachverständigenrates zeigt, dass der neue Beschluss den Frührentnern eine deutlich höhere Rente bescheren kann. Denn durchschnittlich unterscheidet sich die jetzt beschlossene abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren von der Rente mit Abschlägen um bis zu 140 Euro pro Monat. Wer also sieht da noch einen Anreiz freiwillig länger arbeiten zu gehen? Wohl kaum einer. Viele Fachkräfte werden wahrscheinlich ohne zu zögern mit 63 Jahren in Rente gehen. Es ist also mit sehr vielen Frührentnern zu rechnen, die das Problem des Fachkräftemangels noch zusätzlich verschärfen. Denn immer mehr deutsche Unternehmen klagen über fehlenden Nachwuchs. Die Unternehmen sind bemüht junge Menschen auszubilden, aber das braucht Zeit. Zeit, die durch eine neue Frühverrentungswelle, nicht gegeben ist. Vor allem in technischen Berufen fehlt es an Nachwuchs. Experten befürchten, dass es durch das neue Rentenpaket in Zukunft bis zu 1,4 Millionen offene Stellen in dieser Branche geben wird. Das Wählergeschenk zieht also große Kreise. Viele Arbeitnehmer mögen sich freuen, früher in Rente zu gehen, doch die Wirtschaft bedankt sich nicht. Im Gegenteil! Mehr als die Hälfte der im Mittelstandsbarometer befragten Unternehmen muss aufgrund des Fachkräftemangels Umsatzeinbußen hinnehmen. Das kann Folgen für die Unternehmen und somit für ganz Deutschland haben. Mit zu wenigen Facharbeitern schwindet die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen auf dem internationalen Markt und in Folge dessen auch die Attraktivität des Standorts Deutschland. Der enorme Fachkräftemangel ist jetzt schon ein großes Problem für die Wirtschaft, doch durch das neue Rentenpaket, das im Juli dieses Jahres in Kraft tritt, schwillt es zusätzlich an.
Gerechtigkeit durch Ungleichbehandlung?
Frau Nahles bezeichnet die Rente mit 63 als fair. Fair? Gerademal zwei Jahrgänge können abschlagsfrei in Rente und für die darauffolgenden wird das Niveau wieder allmählich angehoben. Vor allem der männliche Facharbeiter und eben auch nur eine Alterskohorte profitiert direkt von der „Nahles-Rente“. Frauen oder Akademiker fallen oft – aufgrund der Zeiten des Kinderbekommens oder eben eines späteren Berufseinstieges – unten durch. Was also soll an diesem Paket fair sein? Gerechtigkeit und Fairness sehen anders aus! Die Lasten der Rentenversorgung sollten, da ist man sich eigentlich einig, angemessen zwischen den Generationen verteilt werden. Die neue Reform jedoch schafft eine neue Ungleichbehandlung zwischen den Generationen und zwischen den Arbeitnehmern. Die Privilegierung dieser zwei Jahrgänge lastet auf dem Rücken aller anderen Beitragszahler. Und das nicht zu knapp! 233 Milliarden Euro soll das neue Rentenpaket laut Experten bis 2030 mindestens kosten und ist damit das teuerste Wählergeschenk der Großen Koalition. Aus dem Generationenvertrag wird somit ein Generationenverrat. Die enormen Kosten, die durch den Beschluss entstehen, sind von der jüngeren Generation zu tragen. Sie bezahlen für etwas, von dem sie selber nie profitieren werden. Dieses Paket ignoriert schlichtweg die demografische Entwicklung. Denn aufgrund dieser wird es immer schwieriger, den Generationenvertrag einzuhalten. Die sinkenden Geburtenraten und die immer höhere Lebenserwartung führen in eine Schieflage. Immer mehr alte Menschen müssen von immer weniger jungen Menschen versorgt werden. Diese Versorgung wird vor allem in den nächsten Jahren zunehmend schwieriger zu bewerkstelligen, denn dann gehen die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, in Rente. Durch den technologischen Fortschritt steigt zudem die Lebenserwartung stetig an und somit die Zahl der Menschen, die eine Rente beziehen. Die Politik muss auf eine solche Entwicklung reagieren und kann sie nicht einfach ignorieren und die Rentenkassen plündern, sodass in wenigen Jahren dieses Rentenpaket entweder durch Beitrags- oder Steuererhöhungen von den Jüngeren bezahlt werden muss. Die Rente mit 63 ist ein großer Schritt. Nur leider in die komplett falsche Richtung: Sie verschärft die Situation zusätzlich und führt dazu, dass die Beitragssätze steigen werden und gleichzeitig trotzdem das Rentenniveau niedriger ausfällt. Das bedeutet, dass die jüngeren Generationen mit noch höheren Belastungen und somit mit noch weniger Nettolohn zu rechnen haben. Der Griff in die Taschen der Jüngeren wird nicht ohne soziale und wirtschaftliche Folgen bleiben. Neben dem wachsenden Unmut der arbeitenden Generation steht eine sinkende Kaufkraft. Mit weniger Geld im Portemonnaie können die Jungen auch weniger ausgeben und das wirkt sich bekanntlich negativ auf die Wirtschaft aus …
Fazit
Mit der abschlagsfreien Rente setzt die Politik ein Signal! Machterhalt ist den Politikern wichtiger als die Sicherung des Generationenvertrags und eine verantwortungsbewusste Reaktion auf den demografischen Wandel. Die eine oder andere Wählerstimme wird sich die SPD dadurch gesichert haben, denn Menschen wie Horst Meier sind überaus glücklich, dank diesem Beschluss abschlagsfrei früher in Rente gehen zu können. Doch was ist mit seiner Tochter Susanne Schmidt, die gerade mit 30 Jahren Mutter geworden ist? Sie zahlt bereits jetzt hohe Beiträge, wird jedoch nicht mehr von diesen politischen Entscheidungen profitieren. Sie und ihre Altersgenossen werden den Ruhestand der Babyboomer bezahlen müssen. Das wird teuer! Und diese enormen Kosten lasten allesamt auf den Jungen. Jetzt, in der wirtschaftlich guten Phase, kann die Politik dieses Projekt noch bezahlen. Doch jeder weiß, dass auf einen Aufschwung auch ein Abschwung folgt und dann ist es an den Beitrags- und Steuerzahlern, den frühen Ruhestand derer zu bezahlen, denen es finanziell sowieso nicht schlecht geht. Wenn man sich nun noch vergegenwärtigt, dass der demografische Wandel nicht aufzuhalten ist, dann möchte man erst recht nicht wissen, wie es in 25 Jahren aussieht, wenn Susanne Schmidts Kind erwerbstätig ist.
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