„Wir haben Angst vor Google. Ich muss es einmal so klar und ehrlich sagen, denn das traut sich kaum einer meiner Kollegen.“ Dieser Satz stammt nicht etwa von einem überbesorgtem Datenschützer. Nein, er ist nachzulesen in einem offenen Brief in der FAZ vom 16. April dieses Jahres, geschrieben von Matthias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden des Axel Springer Verlags und damit dem de facto mächtigsten Mann in der deutschen Presselandschaft. Angst? Ja, sogar die BILD-Zeitung fürchtet sich! Und damit ist sie nicht alleine. Rund 400 Internetakteure haben sich der Klage mehrerer europäischer Presseverlage angeschlossen, in der Google beschuldigt wird, seine Monopolstellung auf illegale Weise auszunutzen und seine Position zu missbrauchen, um andere Wettbewerber zu schwächen. Durch diesen Zusammenschluss wollen Googles Gegner auf die Europäische Wettbewerbskommission Druck ausüben, sich des zweifelhaften Verhaltens Googles anzunehmen. Auch die Wettbewerbsbehörden in Indien, Südkorea und Argentinien untersuchen Googles Machenschaften aufgrund ähnlicher Vorwürfe. Diese Klagen, die mittlerweile also weltweit erhoben werden, zeigen, dass die Politik viel zu lange dem Treiben des mächtigsten Technik-Konzerns der Welt zugeschaut hat, der nun aufgrund seiner zunehmenden Beherrschung des Marktes auf dem besten Weg zu einem globalen Informationsmonopol ist.
Der goldene Werbekäfig
Um das Problem der „Causa Google“ zu verstehen, lohnt es, sich zunächst zu vergegenwärtigen, wie Wettbewerb aus einem ordnungspolitischen Blickwinkel zu verstehen und zu bewerten ist. Ein funktionierender marktlicher Wettbewerb zeichnet sich unter anderem durch eine möglichst scharfe Konkurrenz zwischen einer großen Zahl von Wettbewerbern aus, die zumeist nur einen kleinen Marktanteil haben. Neben der Vielzahl von Anbietern gibt es auch sehr viele Nachfrager und je nach Marktlage steht es jedem frei, in den Markt ein- oder auszutreten. Der Vorteil einer solchen Marktlage ist es, dass die Anbieter keine oder nur geringe Marktmacht ausüben können, da eine Abwanderung der Nachfrager zu einem Konkurrenten jederzeit möglich ist. Ordnungspolitisch folgt daraus, dass ein Rahmen für den marktlichen Wettbewerb geschaffen werden muss, innerhalb dessen eine Vermachtung der Märkte, etwa in Form von Monopolen oder Oligopolen, nicht möglich ist.
Wie stellt sich im Vergleich dazu die Situation im Fall Google da? Will ein Unternehmen Online-Werbung schalten und damit eine spürbare Wirkung erzielen, dann muss es ein Medium wählen, das möglichst viele Leser erreicht. Der einfachste und effektivste Weg ist es deshalb, seine Werbung über Google zu verbreiten, da Google der mit Abstand größte Anbieter für Online-Werbung ist und die höchsten Klickzahlen hat. Im Segment der mobilen Online-Werbung, also Werbung, die auf mobilen Endgeräten wie Handys und Tablets geschaltet wird, sicherte sich Google im vergangenen Jahr rund 50 Prozent der weltweiten Marktanteile. Google generiert durch die immense Nachfrage nach Werbeanzeigen erstaunlich hohe Umsätze. Ein Klick auf die Seite einer Krankenversicherung lässt sich Google schon einmal 18 Euro Provision kosten.
Das alles wäre kein Problem, wenn Anbieter und Nachfrager gleichberechtigte Tauschpartner wären. Doch davon sind sie weit entfernt, denn der Markt funktioniert nicht in der ordnungspolitisch gewünschten Weise. Durch Googles Vormachtstellung existiert für die Nachfrager nicht die Möglichkeit, ihre „Exit-Option“ wahrzunehmen und Google glaubhaft zu drohen, dass sie bei unfairem Verhalten den Anbieter wechseln. Ein solcher Wechsel hätte einen sehr hohen Preis, denn bei der Konkurrenz wäre die eigene Werbung bei weitem nicht so effektiv.
Aus einer derartigen Position der Stärke und Macht ist es für Google ein Leichtes, seine dominierende Stellung auszunutzen, insbesondere indem es seine eigenen Angebote bevorzugt vermarktet. Die eigene Werbung erscheint dann in den Trefferlisten einer Suchanfrage systematisch vor derjenigen der Konkurrenz, die dafür auch noch gezwungen ist, Gebühren zu zahlen. Der Konzern kontert diesen immer wieder vorgebrachten Kritikpunkt in den zahlreichen Klagen gegen Google mit dem Argument, dass niemand gezwungen sei, bei Google Werbung zu schalten, wenn er mit der Platzierung unzufrieden sei. Doch dieses Argument ist scheinheilig, denn – wie oben beschrieben – kann eben nicht „mit den Füßen abgestimmt werden“, wo welche Werbung geschaltet wird. Gelesen wird die Werbung vor allem dann, wenn sie bei Google sichtbar ist und nicht bei einem unbekannten kleineren Konkurrenten von Google.
Mit anderen Worten: Google besitzt ein Quasi-Monopol in der Netzwelt und hält die Firmen in Geiselhaft. Diese Situation lässt sich nicht auf einfache Weise lösen. Der Vorschlag von EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia, im Gegenzug für die Bevorzugung Google-eigener Werbung müsse der Konzern zusätzliche Werbefenster verkaufen, wirkt eher weltfremd und wird von Matthias Döpfner nicht zu Unrecht als „Schutzgelderpressung“ gebrandmarkt. Auch das Angebot von Google, sich fünf Jahre selbst zu verpflichten, zumindest die eigene Werbung farbig zu hinterlegen, wirkt nicht, als würde sich hierdurch die Wettbewerbsverzerrung beheben lassen.
Google kann die Muskeln spielen lassen
Ganz unabhängig von konkreten Einzelmaßnahmen Googles, die wettbewerbsfeindlich sind, stellt sich aber die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich im Internet ein solch riesiger und – im Hinblick auf die Möglichkeit, den Wettbewerb zu verzerren – mächtiger Konzern wie Google entstehen konnte, der sich – ähnlich wie auch Amazon und Facebook – nun als globales Monopol verhalten kann.
Google besitzt auf dem Suchmaschinen-Markt einen weltweiten Marktanteil von 70 Prozent, in Deutschland sind es sogar 91 Prozent. Allerdings ist der kalifornische Mega-Konzern hauptsächlich als Vermittler tätig und stellt weder Produkte im klassischen Sinne her noch verkauft er sie. Doch als Vermittler und Dienstleister macht Google sehr gute Geschäfte. Aus einer ökonomischen Perspektive lässt sich dabei zunächst erkennen, dass direkte Netzwerkeffekte eine zentrale Rolle in Googles Geschäftsmodell spielen. Der Nutzen eines Konsumenten (also Google-Nutzers) steigt mit jedem weiteren Konsumenten, der dasselbe Angebot nutzt. Google wird als Suchmaschine umso attraktiver, je mehr Menschen dies zuvor schon getan haben, da der Suchalgorithmus mit jeder weiteren Suchanfrage weiter verbessert werden kann. Diese direkten Netzwerkeffekte sind also nichts anderes als positive Skalenerträge, die durch indirekte Netzwerkeffekte ergänzt werden: Google wird als Suchmaschine umso attraktiver, je mehr Webseiten geordnet und durchsucht werden. Dies hat zur Folge, dass es sich bei einer steigenden allgemeinen Nutzung von Google als Suchmaschine für Betreiber von Webseiten besonders lohnt, ihre Webseiten für Suchanfragen für Google zu optimieren, denn dies sorgt dafür, dass ihre Angebote zum einen von sehr vielen Kunden und zum anderen besonders leicht und schnell gefunden werden.
In Märkten, in denen derartige Netzwerkeffekte auftreten, kristallisieren sich oftmals Monopole heraus. Sie werden als Winner-takes-it-all-Märkte bezeichnet, da sich die zu einem bestimmten Zeitpunkt überlegene Technologie durchsetzt, ohne dass es zu einem späteren Zeitpunkt leicht möglich wäre, diese Entscheidung wieder rückgängig zu machen und die dominante Technologie durch eine möglicherweise bessere Neuentwicklung zu ersetzen. Es kommt zu Pfadabhängigkeiten, bei denen sich selbst ineffiziente technische Standards über sehr lange Zeiträume festsetzen (wie im berühmten Beispiel der QWERTY- bzw. in Deutschland QUERTZ- Anordnung der Tasten von Schreibmaschinen und Computertastaturen). Besonders problematisch ist nun, dass Google in seinem Markt als monopolistisches Bottleneck, eine Art Türsteher zur digitalen Welt, wirkt. Der kalifornische Konzern bestimmt durch seinen Algorithmus, welche Werbung ganz oben gelistet wird (zuerst die eigene) und welche Websites gefunden werden können (zuerst die eigenen). Fairer Wettbewerb sieht anders aus!
Man kann nun natürlich einwenden, dass es schon zuvor Suchmaschinenriesen wie AltaVista oder Yahoo! gab und diese nicht von Dauerhaftigkeit waren, ebenso wenig wie Microsoft als Software-Anbieter in den 1990er Jahren. Doch auch Microsoft musste von den Wettbewerbshütern in die Schranken gewiesen werden und Googles unfaires Handeln gegenüber Konkurrenten steht dem von Microsoft in nichts nach. So müssen Werbekunden, die neben Google auch über andere Suchmaschinen werben wollen, höhere Preise bei Google zahlen. Aufgrund der Opportunitätskosten entscheiden sich die meisten wie selbstverständlich dafür, nur bei Google zu bleiben. Und es geht noch weiter: Google-eigene Produkte wie GoogleBooks oder Youtube werden bei anderen Anbietern gar nicht bzw. nur vereinzelt als Ergebnis angezeigt. Das Funktionieren des Marktes für Online-Werbung und andere Produkte ist erkennbar eingeschränkt, so dass ein staatlicher Eingriff – insbesondere in Form eines wettbewerbsrechtlichen Durchgreifens – angeraten erscheint.
Doch eine solche Logik zugunsten einer scharfen Regulierung hat auch ihre Kritiker. Diese verweisen gerne auf Friedrich von Hayek, der als erklärter Gegner staatlicher Eingriffe bei privaten Monopolen galt. Doch viele übersehen, warum Hayek sich so sehr gegen staatliche Eingriffe sträubte. Er sah vor allem die (ökonomische) Freiheit des einzelnen Konsumenten wie Produzenten bei einer zu strikten Antikartellgesetzgebung gefährdet. Das ist vor dem Hintergrund der Zeit, in der Hayek seine Argumente entwickelte, durchaus nachvollziehbar, jedoch ist es im Fall Google andersherum, denn die Netzwelt im Allgemeinen und Google als Türsteher der digitalen Welt im Speziellen sind etwas anderes als die Industrieproduktion, die Hayek im Sinn hatte. Insofern ist es in erster Linie Google selbst, das durch seine Handlungsweise die Freiheit gefährdet. Denn Google besitzt zum einen – aus den zuvor dargestellten (ökonomisch-technischen) Gründen ein Machtmonopol, das es ausnutzen kann, um Konkurrenten auszuschalten und so eine Monopolrente für sich abzuschöpfen. Zum anderen – und dies macht die Lage ebenso kompliziert wie gefährlich – erstreckt sich dieses Monopol auf Wissen und Informationen. Eine Welt, in der ein einziger Konzern bestimmen kann, was für Informationen gefunden werden können, und in der ein einziger Konzern bestimmen kann, was nicht gefunden werden kann, ist bedrohlich und alles andere als freiheitlich. Ja, Google hat sich seine Stellung durch kluge Entscheidungen und andauernde Innovationen erarbeitet, doch mit dieser Macht geht auch große Verantwortung einher. Wird diese nicht gewährleistet, ist der Staat verpflichtet einzugreifen, denn: Jeder, der Google nutzt, wird auch benutzt. Es wird analysiert, nach was wir suchen, wen wir von unseren Android-Handys aus anrufen und was für Apps wir installieren, von welchen Firmen wir E-Mails an unseren Googlemail-Account bekommen.
Das alles geschieht selbstverständlich unter dem Mantel der vermeintlichen Optimierung der Benutzerfreundlichkeit. Doch spätestens die NSA-Affäre sollte jeden gelehrt haben, dass es nicht zum Vorteil der Gesellschaft sein kann, wenn unsere sämtlichen Daten bei einem Konzern liegen, der mit Geheimdiensten kooperiert. In einem funktionierenden Wettbewerb würden sich nach den Ereignissen um die NSA neue Anbieter finden, die sich auf die erhöhte Nachfrage nach Datensicherheit und -verschlüsselung fokussieren und damit – sofern sie dies nutzerfreundlich umsetzen – Google gehörig unter Druck setzen. Doch durch die Wettbewerbsverzerrung, die Googles Monopolstellung geschuldet ist, bleiben derartige Produktinnovationen aus. Selbst Hayek müsste hier eingestehen, dass das Resultat dieser Missstände eine suboptimale Welt ist!
Eine europäische Antwort
Dieses Problem ist jedoch nicht allein auf Google zu beschränken, in Zeiten von riesigen Internetkonzernen, zu denen auch Amazon, Facebook usw. zählen, gilt es einen einheitlichen politischen Ordnungsrahmen zu gestalten. Denn dass es möglich ist, die Internet-Giganten in ihre Schranken zu verweisen, zeigte vor kurzem der Europäische Gerichtshof. Durch ein aktuelles Urteil wird Google verpflichtet, sensible persönliche Daten auf Wunsch der Betroffenen zu löschen. Desweiteren ist es Google von nun an nicht mehr möglich, europäische Standards zum Datenschutz mit der Rechtfertigung zu umgehen, dass die Daten auf Servern in den USA liegen. Diese Argumentation wirkte zwar von jeher absurd, dennoch ist es gut zu wissen, dass das nun auch der EuGH so sieht, auch wenn die Einzelstaaten teilweise anderer Meinung sind.
Sollte es zu keiner gemeinsamen Einigung auf EU-Ebene kommen, bringen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Justizminister Heiko Maas eine nationale Lösung ins Spiel. Für deutsche Internetnutzer ist dies ein erfreuliches Signal, auch wenn derartige Initiativen erfahrungsgemäß im politischen Prozess und unter dem Druck der Lobbyisten arg geschrumpft werden. Konkret steht der Vorschlag im Raum, Google von nun an als Infrastrukturanbieter zu behandeln. Dadurch könnte die Wettbewerbsaufsicht darüber entscheiden, wie Google mit seinen Wettbewerbern umzugehen hat. Eine Entflechtung oder gar Zerschlagung des Konzerns erscheint zwar unrealistisch (und ist laut Gabriel auch nur die „ultima ratio“), aber eine schärfere Aufsicht schadet sicherlich nicht.
Noch sehr viel sinnvoller erscheint aber eine starke europäische Antwort, die es schafft, Google und andere Netzkonzerne in einen fairen und scharfen Wettbewerb zu zwingen. Hiervon profitieren die Nutzer mehr als von Verboten und endlosen Gerichtsverfahren. Dabei ist auch zu beachten, dass Google nicht alleine Schuld hat an seiner einsamen Stellung. Die Europäische Union hat es den heimischen Firmen durch eine fehlende Infrastruktur sowie 28 unterschiedliche Gesetzgebungen sehr schwer gemacht, eine starke Konkurrenz zu den amerikanischen Konzernen aufzubauen. Dies bedeutet, dass hier endlich Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die es ermöglichen, europäische Wettbewerber aufzubauen, die nach europäischem Kartell- und Datenschutzrecht handeln. Nur so kann ein langfristiger Wettbewerb im Informationsmarkt gewährleistet und die Wissens- und Informationsdiktatur einzelner Konzerne gebrochen werden.
Kommentar verfassen