Gut ausgebildete, arbeitswillige Flüchtlinge müssen in Deutschland Sozialleistungen beziehen. Dabei haben sie sich gerade erst aus einer Notsituation befreit und möchten sich nun eine neue Existenzgrundlage aufbauen. Was sie brauchen, ist ein erleichterter Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.
In Deutschland machen syrische Staatsbürger mit 20,2 Prozent aktuell den größten Anteil unter den Erstantragsstellern um Asyl aus. Sie fliehen vor dem immer noch andauernden Bürgerkrieg und vor politischer Verfolgung. Syrer haben in der Bundesrepublik momentan die besten Chancen auf Asyl. Die Verfahren können dennoch Monate bis Jahre dauern, auch wenn sich die zuständigen Stellen bemühen, schnellere Entscheidungen herbeizuführen. Den Menschen, die der katastrophalen Lage in ihrer Heimat mit Müh und Not entfliehen konnten und auf ein besseres Leben in Deutschland hoffen, wird dadurch der Aufbau einer neuen Existenz erheblich erschwert. Sie wollen nicht als Bittsteller auftreten, werden aber aufgrund vielerlei Hürden im Existenzaufbau zu solchen gemacht.
Wenn Flüchtlinge in Deutschland ankommen, verbringen sie die ersten drei Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Danach werden sie nach einem speziellen Verfahren weiterverteilt, entweder an Gemeinschaftsunterkünfte oder in private Wohnungen. Der sogenannte “Königsteiner-Schlüssel” bestimmt unter Berücksichtigung von Steuereinnahmen und Bevölkerungszahl über das Bundesland bzw. die Stadt oder den Landkreis der Unterbringung.
Nachdem die Flüchtlinge an die zweite Unterkunft vermittelt wurden, beginnt ihr trostloser Alltag des Nichtstuns. Es kommt nicht selten vor, dass ein studierter Bauingenieur, der die deutsche Sprache lernen und eine angemessene Arbeit finden möchte, in den Wohnheimen Gemeinschaftsräume putzt oder Elektroschrott auseinanderbaut für einen Stundenlohn von 1,05 Euro. Was zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist, bringt immerhin Abwechslung in den Tagesablauf.
Gesamtwirtschaftlich gesehen ist es wenig sinnvoll, qualifizierten Flüchtlingen Arbeit entsprechend ihrer Ausbildung zu verweigern. Auf dem Arbeitsmarkt für gelernte Fachleute wird dadurch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage gestört, da nicht alle qualifizierten Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Dieses Ungleichgewicht führt folglich zu einem gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust oder konkreter: Die Politik vergibt sich die Chance, dem bestehenden und sich durch den demographischen Wandel verschärfenden Fachkräftemangel effektiv entgegenzuwirken.
„So wie uns nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Flüchtlinge und Vertriebene beim Aufbau unseres Landes genützt haben und später die Gastarbeiter, so brauchen wir auch heute Zuwanderung.“
(Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister)
Ohne Arbeitserlaubnis dürfen die Flüchtlinge weder einer Arbeit nachgehen noch eine Ausbildung beginnen. Bis vor kurzem war dies Asylsuchenden und Geduldeten in den ersten neun Monaten gänzlich untersagt. Seit Ende letzten Jahres soll ihnen der Arbeitsmarktzugang immerhin erleichtert werden: Die Wartefrist für eine Arbeits- bzw. Ausbildungserlaubnis für Asylsuchende mit Aufenthaltsgenehmigung und für geduldete Personen wurde auf drei Monate verkürzt. Aufgrund der Vorrangprüfung ist es aber immer noch sehr schwierig, Arbeit zu finden. Ein Flüchtling erhält demnach nur einen Job, wenn kein bevorrechtigter Arbeitnehmer (Deutsche, EU-Bürger, Bürger aus EWR-Staaten, Schweizer und Drittstaatsangehörige mit unbeschränktem Arbeitsmarktzugang) für die Stelle infrage kommt. Künftig ist geplant, dass die Prüfung nach 15 Monaten wegfällt und für Fachkräfte ganz gestrichen wird.
Momentan bestimmt jedoch nach wie vor das Nichtstun den Alltag der arbeitswilligen Flüchtlinge. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hält es deshalb für sinnvoller, wenn Geduldete sofort ohne Einschränkung arbeiten dürfen und Asylsuchende spätestens ab dem sechsten Monat ohne Vorrangprüfung einer Beschäftigung nachgehen können.
„Flüchtling ist kein Beruf“ (Arrivo Berlin)
Neben den potentiellen Regelungen für bereits ausgebildete Fachkräfte gibt es weitere Möglichkeiten, dem Mangel entgegenzuwirken: Die Vorrangprüfung bei Ausbildungsstellen wurde mit der Beschäftigungsverordnung von 2013 abgeschafft. Die positiven Auswirkungen dieser Maßnahme lassen sich an einer Initiative der Bremer Handelskammer unmittelbar ablesen. Dort hat man diese und weitere Vereinfachungen der gesetzlichen Barrieren zum Anlass genommen, ein Ausbildungs-Netzwerk für Flüchtlinge aufzubauen. Es wurden Workshops angeboten, in denen Ausbildungsbetriebe dazu ermutigt wurden, das Potenzial der Flüchtlinge auszuschöpfen und freie Stellen mit ihnen zu besetzen. Auch in Berlin unterstützen die Handwerkskammer und der Senat die Vermittlung von Flüchtlingen in eine Ausbildungsstelle oder einen Arbeitsplatz. „Arrivo Berlin” nennt sich das Projekt und hat ausdrücklich zum Ziel, Handwerksbetriebe mit Personalsorgen und arbeitssuchende Flüchtlinge zusammenzuführen. Die Flüchtlinge gelten als topmotiviert. Um solche Projekte jedoch erfolgreich zu gestalten und vor allem breitflächig anbieten zu können, fehlt es derzeit noch an einer konsequenten Förderung von Integrations- und Sprachkursen. Die Gelder, die beispielsweise in das Anwerben von ausländischen Fachkräften fließen, wären an dieser Stelle besser investiert.
“Unsere Wirtschaft braucht gut ausgebildete Fachkräfte – auch aus dem Ausland.” (Sigmar Gabriel, Bundeswirtschaftsminister)
Die Zurückhaltung der deutschen Politik bei der Unterstützung des Arbeitsmarktzugangs von Flüchtlingen bleibt unverständlich. Auf der einen Seite wird sich heftig darüber beklagt, dass es in vielen Branchen an Fachkräften fehlt und zu wenige qualifizierte Arbeiter aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland kommen, um die bestehenden Lücken zu füllen. Auf der anderen Seite sitzen studierte, gut ausgebildete Arbeitskräfte in deutschen Flüchtlingswohnheimen und drehen Däumchen.
Arbeitgeber, sowie auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration verlangen von der Politik, die Arbeitsmöglichkeiten für ausländische Fachkräfte in Deutschland attraktiver zu gestalten. Doch selbst nach der Öffnung des Arbeitsmarktes für außereuropäische Fachleute im Jahr 2013 sind im ersten Jahr gerade einmal 170 Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten beruflich nach Deutschland gekommen. Gründe dafür waren zum Beispiel mangelnde Sprachkenntnisse oder die vermeintliche Nicht-Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Make-it-in-Germany.com ist eine der Initiativen, Deutschland als Zuwanderungsland in ein positives Licht rücken. Die Internetseite des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums und der Bundesagentur für Arbeit informiert zuwanderungsinteressierte Fachkräfte über ihre Karrierechancen und soll zeigen, warum es sich lohnt, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Doch warum wird hier viel Geld – mit absehbar geringen Erfolgsaussichten – in die Hand genommen, wenn die umworbenen Fachkräfte aus dem Ausland möglicherweise schon längst in Deutschland verweilen? Und wenn hierüber noch Unklarheit besteht, warum wird das Geld nicht zur Erforschung der Frage investiert, was für wertvolle Fähigkeiten die Flüchtlinge im Land mitbringen?
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte in der ZDF-Sendung “maybrit-illner”, dass Deutschland derzeit keine zusätzliche Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten brauche, jedoch vorbereitet seien müsse für die Zeit, in der die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Seine Partei fordert deshalb ein Einwanderungsgesetz, dass als “ein starkes Signal an junge Menschen, die Interesse haben, nach Deutschland zu kommen” gelten soll. Er plädiert jedoch auch für ein Vorrang für Flüchtlinge, die bereits in Deutschland leben, sowie für ein viel umfassenderes Angebot an Sprach- und Integrationskursen.
„Den Flüchtlingen, die in unserem Land Zuflucht suchen, sollten wir eine Perspektive geben.“ (Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags)
Deutschland fährt derzeit noch auf dem falschen Gleis in puncto Flüchtlingspolitik und Fachkräftemangel. Nichtsdestoweniger nehmen die Chancen zu, künftig den richtigen Weg einzuschlagen. Durch die zunehmende Diskussion in Politik und Wirtschaft wird deutlich, dass sich alle Parteien hinsichtlich der Notwendigkeit von ausländischen Fachkräften einig sind. Dass Flüchtlinge eine mögliche Lösung darstellen könnten, wird jedoch noch längst nicht überall akzeptiert. Viele setzen noch auf die Vorrangprüfung zugunsten einheimischer und bestenfalls europäischer Arbeitnehmer. Doch wenn diese knapp werden, dann ist die Vorrangprüfung nur noch ein bürokratisches Hemmnis und sollte abgeschafft werden. Angesichts des permanenten Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräften, sollte dies sogar eher früher als später passieren. Dazu bedarf es letztlich nur eines erleichterten Zugangs zum Arbeitsmarkt durch verkürzte Wartefristen und eines breiten Angebots an Sprach- und Integrationskursen. Viele Flüchtlinge bekämen die Chance auf ein besseres Leben, die Staatskassen würden auf Dauer entlastet und dem sich verschärfenden Fachkräftemangel wäre entgegengewirkt.
______________________________
Das Foto zum Beitrag ist von Verena Brüning und ist im Rahmen des Projektes “CUCULA” entstanden. Als Modellprojekt möchte CUCULA Ausbildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge bieten.
Kommentar verfassen