In Deutschland entscheidet sich bald, ob die Suizidbegleitung rechtlich neu geregelt wird. Die aktuelle Gesetzeslage ist so unklar, dass sogar eine Kommerzialisierung der Sterbehilfe droht. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Eine mögliche Alternative wäre die Integration passiver Suizidbegleitung in das Leistungspaket der gesetzlichen Versicherungen.
Im Herbst letzten Jahres hungerte sich die unter chronischen Schmerzen leidende 86-jährige Britin Jean Davies zu Tode. Die strengen Gesetze in Großbritannien hatten es ihr nicht erlaubt, sich Hilfe in Form von Suizidbegleitung zu holen. Dies trug dazu bei, dass die letzten Tage von Jean Davies zu einer noch schlimmeren Qual wurden. Es sind Fälle wie dieser, die die Kontroverse um die Sterbehilfe regelmäßig wieder aufflammen lassen. Wie soll mit Menschen umgegangen werden, deren größter Wunsch ihr eigener Tod ist? In Deutschland soll im kommenden Herbst versucht werden, eine Antwort auf diese heikle Frage zu finden. Endlich!
Die öffentliche Debatte um eine Neuregelung der Sterbehilfe wird im Wesentlichen von Medizinerverbänden und den Kirchen geführt. Doch gerade wenn es um die kommerzielle Sterbehilfe, also das gewerbliche Angebot der Dienstleistung Suizidbegleitung geht, müssen sich auch Ökonomen einschalten. Wo es eine Nachfrage gibt, entsteht auch ein Angebot. Der Markt könnte hier allerdings an seine moralischen Grenzen stoßen und für eine gesellschaftlich nicht gutzuheißende Bereitstellung sorgen.
Um die ökonomische Dimension zu erkennen, lohnt ein Blick auf unsere Nachbarstaaten.
Länder wie die Schweiz oder die Niederlande erlauben unter strengen Auflagen Suizidbegleitung – eine Form der passiven Sterbehilfe – oder sogar die aktive Sterbehilfe. In der Schweiz wird die Hilfe zur Selbsttötung von Organisationen wie Dignitas ermöglicht. Dignitas sei als Verein nicht gewinnorientiert und betreibe somit zwar organisierte Suizidassistenz, jedoch keine kommerzielle, erklärt Ludwig Minelli, der Gründer der Organisation. Dennoch beziffert er die Kosten der durchschnittlich fünfmonatigen medizinischen und psychologischen Behandlungen im Rahmen eines assistierten Suizids auf ca. 8000 Euro. Diesen Betrag können sich viele Sterbewillige trotz ihrer vorhandenen Zahlungsbereitschaft nicht leisten. Es kommt zu Fällen wie dem von Jean Davis: Selbsttötungen ohne medizinische Aufsicht, die eventuelle Leiden noch verstärken oder anderen Menschen Schaden zufügen. Wer es sich – körperlich wie finanziell – leisten kann, kann alternativ den Weg ins Ausland wählen. Alleine zwischen 2008 und 2012 hätten 611 Ausländer Suizidbegleitung in der Schweiz in Anspruch genommen, so eine Studie im Journal of Medical Ethics. Eine strikte Regelung wie in Deutschland oder Großbritannien schafft ein moralisches Dilemma und lässt Bürgern mit Sterbewunsch somit nur die Wahl zwischen kostspieligem „Suizid-Tourismus“ oder drastischeren Maßnahmen. Der Staat lässt hier schwer leidende Bürger im Stich, die sich in ihrer Not potentiell unseriösen Alternativen zuwenden.
Dabei liegt eine bessere Alternative auf der Hand: Lässt man den Kostenfaktor beiseite, so kann das Schweizer Modell durchaus als Vorbild dienen. Die rechtlichen Voraussetzungen und ärztlichen Auflagen für Suizidassistenz sind enorm streng und gewährleisten eine Patientenbetreuung, die übereilte Entscheidungen verhindert. Folgt man diesem Weg, so wird man an der Finanzierungsfrage für die umfangreichen Betreuungs- und Pflegeleistungen allerdings nicht vorbeikommen. Wenn man der Voraussetzung folgt, dass die Verfügbarkeit von Suizidassistenz nicht von persönlichen Budgetrestriktionen abhängen darf, bietet sich der Staat als Bereitsteller von Suizidassistenz an. Eine Eingliederung in das Leistungspaket der gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung würde Sterbehilfe unabhängig von privater Bereitstellung und persönlichen Budgetrestriktionen machen. Diese Neuregelung würde passive Sterbehilfe als Teil des Menschenrechts auf ärztliche Versorgung anerkennen und schwer leidenden Menschen endlich die Hilfe ermöglichen, die sie brauchen.
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