Die Linken-Chefin Katja Kipping fordert einen „New Deal gegen den Terror“. Doch ihre Lösungsvorschläge – eine Sozialpolitik nach dem Gießkannen-Prinzip und der Verzicht auf Militäraktionen – sind altbacken und basieren zudem auf falschen Annahmen.
Bezugnehmend auf den IS-Terror in Europa schrieb die Linken-Chefin Katja Kipping Ende November 2015 im politischen Monatsmagazin Cicero, „die aktuelle Zuspitzung der gesellschaftlichen Verhältnisse [sei] insgesamt ein Krisensymptom des neoliberalen Kapitalismus.“ Nach dieser Lesart sind für den Aufstieg des Islamismus in Europa vor allem die prekären Lebensbedingungen vieler junger Muslime verantwortlich, welche mit großzügigen sozialstaatlichen Programmen verbessert werden sollten. So weit, so bekannt, möchte man sagen. Islamismus ist jedoch kein exklusives Phänomen der muslimischen Unterschichten. Eine sinnvolle westliche Gegenstrategie darf deshalb nicht auf materielle Ungleichheit fixiert sein, sondern muss bei der psychologischen Anziehungskraft des IS ansetzen.
Es ist sicherlich wahr, dass ein Mangel an Zukunftsperspektiven die Opportunitätskosten terroristischer Aktivität senkt: weil man besonders wenig zu verlieren hat, werden die Risiken als Terrorist zu leben als gering, der potenzielle Gewinn jedoch als groß empfunden. Hier verhält es sich mit dem Terrorismus wie mit „normaleren“ Formen der Kriminalität. Es sind jedoch mitnichten nur die Bildungsverlierer und rassistisch Ausgegrenzten, die dem Ruf des IS nach Syrien folgen oder in ihren Heimatländern im Namen des Islam zu den Waffen greifen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Syed Farook, einer der Attentäter von San Bernardino in den USA, verdiente als Angestellter im öffentlichen Dienst über 50000 Dollar im Jahr; seine Frau und er hatten beide studiert.
Die hohe Zahl radikalisierter Konvertiten in den Reihen des IS lässt darüber hinaus das Argument des Rassissmus westlicher Gesellschaften als Erklärungsmuster fraglich erscheinen. Wenn aber eine signifikante Zahl der Islamisten gar nicht aus den vermeintlichen „Treibhäusern des Terrors“ kommt, rechtfertigt der geringe zu erwartende Nutzen im Kampf gegen den Terror nicht die Milliardenkosten einer wenig zielgerichteten Sozialpolitik mit der Gießkanne, die den Kern von Frau Kippings „New Deal“ ausmachen soll.
Eine Strategie, die sowohl beim stereotypischen Versager aus prekären Verhältnissen wirkt als auch bei radikalisierten Einheimischen und Gebildeten, muss auf einem gemeinsamen Nenner basieren. Die sozialpsychologische Forschung zeigt, dass extremistische Ideologien zwei menschliche Grundbedürfnisse erfüllen: das Verlangen nach klaren Antworten und Strukturen sowie das Streben nach Sinn und Beachtung. Beide Persönlichkeitsmerkmale sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt und nur bedingt formbar. Wo sich ein starkes Ordnungsbedürfnis mit einer akuten Sinnkrise verbindet, können islamistische Thesen auf fruchtbaren Boden fallen, unabhängig von Bildung, Status und Herkunft. Bei diesem gemeinsammen Nenner sollte die westliche Gegenstrategie ansetzen. Frau Kippings reflexhafter Rückgriff auf linke Klassenkampf-Rhetorik verstellt dagegen den Blick auf die psychologischen Triebfedern der Radikalisierung.
Was folgt nun daraus für den Kampf gegen den Terror? Erstens, dass Sozialpolitik das militärische Vorgehen gegen das IS-Kalifat nicht ersetzen kann. Dieses bleibt notwendig, um die Anziehungskraft des IS auf desorientierte junge Menschen zu senken: hat es sich erst herumgesprochen, dass in Syrien nicht Ruhm und Ehre warten, sondern ein schneller und anonymer Tod, dürfte die Strahlkraft des IS empfindlich beschädigt sein. Weniger Terror-Touristen werden sich auf die Reise machen, die Gefahr von Anschlägen in Europa durch Dschihad-Rückkehrer wird mittelfristig sinken. Zweitens, dem Bedürfnis nach einem klaren Weltbild ist mit einfach nur mehr Geld nicht beizukommen, das Problem ist kein primär materielles. Unsere komplexe pluralistische Gesellschaft muss es stattdessen schaffen, auch jenen Identifikationsmöglichkeiten zu bieten, die mit dieser Komplexität eigentlich überfordert sind. Eine solche moderne Präventionsstrategie muss nicht teuer sein, wenn Familien, religiöse Autoritäten und gegebenenfalls Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten. Sie wird aber ungleich effektiver sein als Frau Kippings angestaubtes Umverteilungsprogramm.
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