Heiraten heutzutage zwei Menschen, dann verändert sich deren Erwerbsverhalten kaum. Gemeinsame Kinder führen dagegen zumeist zu einer deutlichen Spezialisierung: während einer arbeitet, kümmert sich der andere um die Kinder. Das Ehegattensplitting unterstützt diese Spezialisierung, aber warum setzt es dann bei der Ehe und nicht bei den Kindern an? Es ist daher Zeit für ein Familiensplitting. Dieses zu fordern werden sich die Parteien im nächsten Bundestagswahlkampf wohl nicht trauen.
Mit der Eheschließung treten die Ehegatten nicht nur in einen Bund für das Leben, sondern – aus dem Blickwinkel der Steuerjuristen – in eine sogenannte „Erwerbsgemeinschaft“ ein. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Ehepartner gemeinsam festlegen, wer von ihnen welche Aufgaben im Haushalt und beim Broterwerb übernimmt. Derjenige Ehepartner, der mehr verdient, gibt seinen Teil der Haushaltsarbeit an den anderen ab und leistet dafür mehr Erwerbsarbeit, wodurch das Ehepaar ein höheres gemeinsames Einkommen erreichen kann als wenn beide Partner halbtags arbeiten.
Der im Beruf tätige Ehepartner erwirtschaftet ein Markteinkommen, welches anteilig auch dem im Haushalt arbeitenden Ehepartner zukommt, der dafür jedoch nicht entlohnt wird. Eine Individualbesteuerung würde den erwerbstätigen Ehepartner gleich stark wie einen Single besteuern und nicht berücksichtigen, dass der Lohn beiden Ehegatten zukommt. Aufgrund der progressiven Einkommensteuer wären dann die anteiligen Einkommen der Ehepartner stärker belastetet als die eines Singles. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass die Ehe in besonderer Weise zu schützen und damit zu fördern sei. Daher wird das Einkommen der Ehepartner in zwei gleich große Hälften „gesplittet“ und mit dem – durch die steuerliche Progression – entsprechend niedrigeren Steuersatz belegt. Eine steuerliche Begünstigung, die sich der Staat jährlich 20 Mrd. Euro kosten lässt.
Ob alleinlebend oder als Paar – wie viel Zeit Frauen und Männer für Erwerbs- und Hausarbeit verwenden, ändert sich durch die Eheschließung nicht. Warum auch, wenn man in einer Welt lebt, in der sich die Eheleute immer öfter als gleichberechtigte Partner empfinden und ein gemeinsames Leben um ihre Jobs herum planen? Dennoch findet eine Spezialisierung statt, für die jedoch fast ausschließlich die Frage entscheidend ist, ob ein Paar Kinder hat oder nicht. Erst für Paare mit Kindern stellt sich die unausweichliche Frage, wer arbeiten geht und wer die Betreuung des Nachwuchses und damit den Haushalt übernimmt. Gewollt oder erzwungen durch fehlende Betreuungsmöglichkeiten: kleine Kinder sorgen im Regelfall dafür, dass nicht beide Elternteilen gleichzeitig einer Vollbeschäftigung nachgehen. Für Eltern mit Kleinkindern kommt es also zur Spezialisierung.
Die viel beschworene Erwerbsgemeinschaft zwischen Eheleuten besteht also nur in einem bestimmten Zeitraum und hat mit ihrer Trauung zunächst einmal nichts zu tun. Sie wird jedoch in dem Moment der Geburt des ersten Kindes höchst relevant, um dann mit der Inanspruchnahme von umfassenden Betreuungsangeboten für die Kleinen auszulaufen. Vielfach wird inzwischen die Betreuung der Kinder ab deren dritten Lebensjahr größtenteils zurückgefahren. Nur bis zu diesem Zeitpunkt trifft die Annahme deutlich zu, dass Ehegatten eine vollständige Erwerbsgemeinschaft bilden. Und allein für diese Phase lässt sich demnach ein Splitting ohne Einschränkungen rechtfertigten, nicht jedoch wie beim Ehegattensplitting dauerhaft bzw. für 15 Jahre, denn so lange hält die deutsche Durchschnittsehe.
Diese Beobachtungen aus dem realen Leben der Deutschen erweitern die Debatte um das Ehegattensplitting um eine weitere Facette. Seit Jahren wird von allen Seiten zurecht kritisiert, dass die momentane Ausgestaltung des Splittings die Zweitverdiener in der Ehe, zumeist Frauen, von der Erwerbstätigkeit abhält und überkommene Rollenbilder verfestigt. Wenn aber das Erwerbsverhalten von Paaren nicht von der Heirats- sondern von der Geburtsurkunde der Kinder abhängt, dann fehlt es sogar an der praktischen Legitimation des Ehegattensplittings. Die Zeit für ein Familiensplitting oder ein Kindersplitting ist gekommen. Dass dies geschehen wird, muss allerdings bezweifelt werden, da sich die deutschen Parteien nicht an das Thema herantrauen. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sieht es heute als wahltaktischen Fehler an, dass ihre Partei im letzten Bundestagswahlkampf eine solche Forderung aufgestellt hat, mit der sie erkennbar die Angehörigen von 20 Millionen Ehe- und Lebenspartnerschaften vor den Kopf gestoßen hat. Dies ist eine bittere Erkenntnis, denn wahltaktische Überlegungen dürfen den offensichtlichen Reformbedarf des Ehegattensplittings nicht überdecken.
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