Vier Jahre nach der Brandkatastrophe in der Textilfabrik Ali Enterprises im pakistanischen Karachi mit 260 Toten ziehen Überlebende und Angehörige gegen die Modekette KiK vor das Landgericht Dortmund. Damit wird endlich die Frage vor Gericht diskutiert, ob hiesige Unternehmen für die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferer im Ausland haften.
Viele große Mode- und Sportartikelhersteller beharren darauf, dass ihre Zulieferer eigenständige Firmen und somit selbst in der Pflicht seien, für einen ausreichenden Schutz und angemessene Arbeitsbedingungen in ihren Produktionsstätten zu sorgen. Mit diesem Argument weisen sie jegliche Verantwortung für die oftmals katastrophalen Arbeitsbedingungen in ihren Zulieferbetrieben von sich. Fakt ist jedoch: Die Zulieferunternehmen im globalen Bekleidungsmarkt stehen unter massivem Druck. Der Zuschlag geht an das günstigste Angebot. Bei den geforderten Preisen kann jedoch weder dem Recht auf menschenwürdige Arbeit und Arbeitsbedingungen genüge getan werden, noch bleibt den Zulieferern eine ausreichende Marge, um in ihren Fabriken angemessene Sicherheitsstandards zu schaffen.
Durch die 1998 beschlossene „Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, und die daraus folgenden internationalen Folgeübereinkünfte hat sich das Recht auf menschenwürdige Arbeit zu einem universellen Menschenrecht weiterentwickelt. Bei dessen Durchsetzung werden vier Hauptprobleme gesehen: Niedriglöhne, der Missbrauch von Kurzzeitverträgen und anderen prekären Beschäftigungsformen, Verstöße gegen die Vereinigungsfreiheit und Betriebsschließungen aufgrund von Umstrukturierungen.
Faktisch haben die multinationalen Unternehmen jedoch kein gesteigertes Interesse an würdigen Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben, denn diese verteuern die Produktion und verursachen damit einen Wettbewerbsnachteil. Gerade die extrem niedrigen Herstellungs-, Lohn- und Sozialkosten locken Konzerne deshalb in weniger entwickelte Länder.
Diese Länder umwerben ihrerseits die Investoren durch die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen, speziellen Industriegebieten mit kostenloser Infrastruktur, Steuererlässen und einer ebenso unternehmensfreundlichen wie arbeiterfeindlichen Arbeitsgesetzgebung. Die Länder befinden sich dabei in einem Dilemma, denn werden in einem Land Verbesserungen der Arbeitsbedingungen herbeigeführt, sei es durch gewerkschaftliche Erfolge oder staatliche Maßnahmen, zieht die Modeindustrie einfach in das nächste Land mit günstigeren Produktionsmöglichkeiten bzw. schlechteren Arbeitsstandards. So bleibt den Zulieferbetriebe wenig anderes übrig, als den massivem Preisdruck nach unten weiterzureichen. Zwangsüberstunden und nicht gezahlter Lohn sind keine Seltenheit, gesetzliche Mindestlöhne werden nicht eingehalten.
Vor dem Hintergrund dieser Realitäten sind die Maßnahmen zur „Corporate Social Responsibility“, mit denen sich Konzerne gerne schmücken, selten mehr als Marketing. Die Kernprobleme werden nicht ernsthaft in Angriff genommen, wie beispielsweise die „workplace standards“ von Adidas zeigen, die eine maximal zulässige Wochenarbeitszeit von 60 Stunden festlegen, die jedoch unter bestimmten Umständen auch überschritten werden können. Die konzernübergreifenden Richtlinien sind lediglich freiwillige Verpflichtungen, Sanktionen bei Nichteinhaltung gibt es nicht. Glaubwürdigkeit erreicht man auf diese Weise nicht.
Auf der anderen Seite haben ein gesteigertes Konsumentenbewusstsein und eine erhöhte Nachfrage nach fair produzierten Waren in den letzten Jahren durchaus für kleine Erfolge gesorgt. Dies reicht jedoch nicht aus. Der wachsende Markt für faire Mode darf nicht das einzige Mittel sein, um menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben durchzusetzen. Ein gerichtliches Urteil, welches die großen Modekonzerne in die Verantwortung nimmt, kann ein entscheidender Schritt sein, um die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken Südostasiens und anderswo zu verbessern. Bei einem Erfolg im Dortmunder Prozess wären solche Klagen für Nichtregierungsorganisationen eine hervorragende Möglichkeit, Druck auf Unternehmen auszuüben.
Hat KiK die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht verletzt und ist somit haftbar gegenüber den Überlebenden und Hinterbliebenen? Noch steht das Urteil aus. Die Bewilligung von Prozesskostenbeihilfe, welche nur bei hinreichenden Erfolgsaussichten gewährt wird, gibt Anlass zur Hoffnung, dass das Gericht ein wegweisendes Urteil spricht.
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