Den politischen Entscheidern der Europäischen Union fällt es zunehmend schwerer, sich auf gesamteuropäische Lösungen zu einigen. Mehr Menschen kehren der EU den Rücken, der Nationalismus ist auf dem Vormarsch. Die Europäische Union muss daher endlich in ihrem Kern eine „Koalition der Willigen“ gründen, die mutig neue Wege beschreitet.
Immer mehr Menschen können sich nicht mehr mit der Vorstellung einer gemeinsamen europäischen Zukunft anfreunden. Sie beklagen, dass sich die EU in unnötig abstrakten Streitigkeiten und Vorgaben verzettele. Auf die drängenden Probleme der Bevölkerung finde sie dagegen viel zu selten passende Antworten.
Doch dies ist vor allem ein Problem der öffentlichen Wahrnehmung: Der EU gelingt es selten einmal, öffentlichkeitswirksame Erfolge für sich zu verbuchen. In den Mitgliedsstaaten und vor allem in Zeiten nationaler Wahlkämpfe wird allzu gerne die Schuld für heimische Probleme auf „Brüssel“ geschoben. Erfolg ist stets national, Misserfolg europäisch. Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass die europäische Politik maßgeblich durch den Europäischen Rat, also die Vertretung der Mitgliedsregierungen geprägt wird. Wer Misserfolg als Schuld „Brüssels“ darstellt, trägt daher meistens selbst direkt dazu bei.
Viel zu selten wehrt man sich in der Europäischen Kommission, dem wirklich europäischen Teil der EU, gegen diese gängige Praxis. Für die Mitgliedsregierungen ist es ein leichtes, sich auf Kosten der EU-Reputation im eigenen Land zu profilieren, daher ist kaum zu erwarten, dass sie von sich aus diese Praxis aufgeben. Aus diesem Grund sollte die Europäische Kommission endlich verstärkt gegen das negative Bild, das nationale Politiker Europa verpassen, ankämpfen.
Außerdem werden in nationalen Debatten Vorteile der EU viel zu oft vernachlässigt. Es wird allzu gerne vergessen, dass es ohne die EU als riesige Freihandelszone mit hoher Mobilität der Produktionsfaktoren längst nicht ein derart hohes Wohlstandsniveau in Europa gäbe. Nicht umsonst wird in anderen Weltregionen versucht, das europäische Modell zu reproduzieren. Viel lieber beschwert man sich über Probleme wie den Anstieg der grenzüberscheitender Kriminalität. Dieser existiert zweifellos, doch umso mehr zeigt es, dass die EU sich noch viel stärker verzahnen muss. Für ein vermeintliches Mehr an Sicherheit ökonomische und soziale Freiheiten aufzugeben, wäre ein gigantisches Verlustprojekt.
Nur eine breit aufgestellte gemeinsame Politik wird gemeinsame Probleme lösen können. Dazu müssten allerdings die Mitgliedsregierungen über ihren eigenen Schatten springen und einen Teil ihrer nationalen Kompetenzen aufgeben, um etwa eine gemeinsame europäische Polizeiorganisation zu schaffen. Gerade nationalistisch eingestellten Regierungen, die besonders viel über importierte Kriminalität schimpfen, mag diese – höchst sinnvolle – Maßnahme gar nicht gefallen.
Genau deshalb spricht sehr viel für das von EU-Kommissionspräsident Juncker vorgeschlagene Modell einer “Koalition der Willigen”. Hierdurch soll Ländern die Chance gegeben werden, sich innerhalb der EU und unabhängig von starren bestehenden Verträgen enger zu verzahnen und gemeinsame Projekte umzusetzen. Damit würde es möglich, die derzeitige Blockade bei Entscheidungen für eine tiefere europäische Integration zu umgehen. Positive Entwicklungen innerhalb der Koalition der Willigen könnten dann anderen Mitglieder der EU als Motivation dienen, sich den Willigen anzuschließen. So kann die europäische Idee auch für die Zukunft bewahrt und vorangetrieben werden.
Im Herzen der EU stehen mit Frankreich und Deutschland zwei Länder, welche in der Vergangenheit immer wieder bewiesen haben, wie wichtig ihnen eine gemeinsame europäische Politik ist, und die weiterhin willens sind, zu ihrem eigenen Wohl nationale Kompetenzen nach Brüssel abzugeben. Zugleich haben sie es auch immer wieder geschafft, ihre Nachbarstaaten für gemeinsame Projekte zu begeistern. Eine Koalition der Willigen muss daher mit der engeren Verzahnung von Deutschland und Frankreich sowie anderen traditionell proeuropäischen Ländern wie den Benelux-Staaten beginnen. Es zeigt sich damit, dass dieselben Länder, die die Vorreiter bei der Gründung der EU waren, nun auch maßgeblich zu ihrer Weiterentwicklung beitragen müssen. Solange keines von ihnen die Initiative ergreift, bleibt es bei Stillstand und Blockade in Europa.
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