Der Ordoliberalismus mit seiner Forderung nach einem Regelrahmen für Europa soll schuld sein, dass momentan niemand Spaß am „Kartenspiel Europa“ hat. Wenn sich aber ohnehin keiner an Spielregeln hält, kann der Ordoliberalismus weder Auslöser noch Lösung der Krise sein. Die Stimmung ist ihm trotzdem nicht gewogen.
An der Eurokrise hat sich ein heftiger Streit um den Ordoliberalismus entzündet. Die einen, vor allem deutsche Ökonomen, sehen ihn als den Weg aus der Krise; die anderen, eher aus dem angelsächsischen Raum und aus den europäischen Schuldnerstaaten, sehen in ihm die Ursache der Krise. Wenn man Ordoliberalismus als ein Konstrukt starker Regeln definiert, welches das Funktionieren des Marktes innerhalb dieses Regelrahmens gewährleistet, muss man festhalten, dass die Debatte Unsinn ist. Denn offensichtlich hat der Ordoliberalismus in Europa nie richtig gewirkt, hielt sich doch niemand an die existierenden Regeln. Es macht also wenig Sinn, ihm die Schuld für Europas Probleme in die Schuhe zu schieben.
Die Irrelevanz der Regeln
Wer schon mal ein Kartenspiel wie „Doppelkopf“ gespielt hat, weiß wie wichtig es ist, dass man sich vorher auf Regeln einigt, sonst eskaliert der Abend schneller als man schauen kann. Nun ist die EU kein Spiel, sondern Staatenverbund und Friedensprojekt. Doch auch hier gilt ein ähnliches Prinzip. Man braucht gemeinsame Regeln, sonst funktioniert wenig. Und an Regeln mangelt es in der EU nicht; der allgemeine Tenor lautet eher, dass die EU zu viel reguliert als zu wenig. Und doch drängt sich der Eindruck auf, dass das Konzept „Regel“ nur zur Hälfte verstanden wird. Denn sich an die selbst gegebenen Regeln auch zu halten, fällt vielen Europäern offenbar ausgesprochen schwer.
So sind selbst einige der neuesten Regularien bereits das Papier nicht mehr wert, auf dem sie vor kurzem geschrieben wurden. Erst im Dezember letzten Jahres wurde die italienische Bank Monte dei Paschi staatlich gerettet, obwohl noch kurze Zeit zuvor staatliche Bankenrettungen auf europäischer Ebene verboten wurden. Auch die No Bailout-Klausel des Maastricht-Vertrages kann als Beispiel für wachsweiche Regeln dienen. Die Liste vergleichbarer Fälle ließe sich endlos lang fortsetzen – von prinzipiell sinnvollen Ideen der genannten No Bailout-Klausel bis zu eher kontroversen Ideen wie dem Dublin II-Abkommen.
Alle diese Regeln eint, dass sich niemand mehr an sie hält, sobald es innenpolitisch opportun erscheint, gegen sie zu verstoßen. Allzu häufig bleiben die Verstöße hinterher ungeahndet. Anders als gelegentlich in Deutschland unterstellt, lässt sich hier auch nicht mit einem Nord-Süd-Gegensatz argumentieren. Die Deutschen waren die Ersten, die den Stabilität- und Wachstumspakt brachen, so wie sich heute die Italiener nicht an das Verbot staatlicher Bankenrettungen halten oder die Anrainerstaaten der Balkanroute an Dublin II.
Der Ordoliberalismus ist weder Problem noch Lösung
Wenn man die Frage beantworten möchte, wie der richtige Weg aus der Krise Europas aussehen könnte, dann ist man versucht zu äußern, dass stärkere, richtigere und bessere Regeln notwendig seien, an die sich diesmal auch sicher alle halten werden. Doch in der gegenwärtigen Stimmungslage sind zusätzliche Regeln und Regelkonzepte in Europa nur schwer zu vermitteln. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass eine falsche Vorstellung davon, was Ordoliberalismus ist, dazu geführt hat, dass dieser nun politisch nahezu tot ist. Der Ordoliberalismus gilt als verbrannt und wird daher keine Chance bekommen zu beweisen, dass er erheblich zur Lösung der europäischen Krise beitragen kann.
Damit bleibt aus Sicht vieler EU-Mitglieder als Alternative vor allem der Weg zurück in Richtung Desintegration der europäischen Gemeinschaft und wieder wachsender nationaler Kontrolle. Positiv gewendet könnte dies ein notwendiger Rückschritt sein, um in ferner Zukunft wieder Fortschritte zu ermöglichen; doch zugleich ist er eine höchst beunruhigende Entwicklung, denn niemand kann vorhersagen, welche Auswirkungen ein solcher Rückbau Europas haben wird. Europa geht einer schweren und unsicheren Zukunft entgegen. Bleibt zu hoffen, dass der Frieden, der das ursprüngliche Ziel der Gemeinschaft war, nicht ebenfalls zurückgebaut wird. Als Kartenspiel ohne Regeln wird die EU jedenfalls keine wertvolle Zukunft haben.
Kommentar verfassen