Steuert Europa auf ein Scheitern der Währungsunion zu; auf eine Kettenreaktion, ausgelöst durch den Bankrott und Austritt einzelner Staaten? Die EU braucht einen unabhängigen Finanzminister und eine umfassende Haushaltsreform für eine friedliche und erfolgreiche gemeinsame Zukunft.
Inflations- und Wachstumsraten sowie die Zinsen auf Staatsanleihen driften innerhalb der Eurozone immer mehr auseinander. Europa kämpft mit Flüchtlingskrisen, Terror, Armut und Arbeitslosigkeit. Dennoch haben die letzten Wahlen in Frankreich, Österreich oder den Niederlanden gezeigt, dass die Menschen, allem aufkommenden populistischen Extremismus zum Trotz, in einem vereinten Europa leben möchten. Doch was die EU für die Zukunft braucht, ist Solidarität und eine Vertiefung der Integration – vor allem aber eine Reform für solide Staatsfinanzen und eine effektive Wirtschaftspolitik. Denn das historische Friedensprojekt für Europa, ins Leben gerufen nach dem Zweiten Weltkrieg, darf nicht scheitern. Diese Verpflichtung gegenüber vergangenen und zukünftigen Generationen muss immer die oberste Leitlinie sein.
Die zentrale Zukunftsstrategie muss die Abgabe von nationalen Kompetenzen an einen Euro-Finanzminister sein, um Zweifel an der Handlungsfähigkeit und Legitimität der EU zu zerstreuen. Die Forderung nach einem Euro-Finanzminister existiert schon lange und bekommt durch die Präsidentschaftswahl in Frankreich nun endlich neue Flügel. Emmanuel Macron oder auch der ehemalige griechische Finanzmister Yanis Varoufakis stehen dafür ein.
Vorrangig ist dabei die Ausstattung dieses neuen Organs mit einem substanziellen eigenen Budget. Die zur Verfügung stehenden Mittel des aktuellen Haushaltes betragen jeweils ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts jedes Mitgliedsstaats und könnten dem EU-Finanzminister unterstellt werden. Diese derzeitigen Mittel sind nicht zwangsläufig zu gering, sie müssen lediglich effektiver und transparenter für die Menschen eingesetzt werden. Weit über die Hälfte des EU-Etats fließt in Agrar- und Struktursubventionen. Eine Finanzierung gesamteuropäischer Interessen, delegiert durch einen unabhängigen EU-Finanzminister, könnte sich der grenzüberschreitenden Externalitäten annehmen. Beispielhaft wäre eine größere finanzielle Unterstützung für die Mittelmeeranrainerstaaten bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme.
Gerade in Deutschland befürchtet man allerdings nach der Einführung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einen weiteren Schritt in Richtung einer Transferunion. Ein unverstellter Blick zeigt jedoch, dass es in der gemeinsamen Währungsunion die gemeinsame Haftung für Schulden längst gibt. Vielmehr scheitert es derzeit am Willen, etwas zu verändern, angesichts einer soliden Wirtschaftslage, Niedrigzinsen für Staatsanleihen und drohenden Souveränitätsverlusten in Deutschland. Ein sehr deutscher, wenig europäischer Blickwinkel.
Aus rein ökonomischer Veranlassung sollten Deutschland und seine Nachbarn unbedingt an der EU festhalten. Die wirtschaftliche Bedeutung einzelner europäischer Staaten ist im Vergleich zu anderen Wirtschaftsregionen dieser Welt gering. Es liegt im Eigeninteresse jedes Mitgliedsstaats, den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt und seine Vorzüge zu erhalten. Gerade Länder wie Deutschland, die etwa 60 Prozent ihrer Importe und Exporte über diesen Markt abwickeln, sollte das bewusst sein.
Eine solidarische Fiskalpolitik darf dabei natürlich kein Instrument fortgesetzter Transfers oder einer dauerhaften Anhäufung von Schulden sein. Der neue EU-Finanzminister sollte bestehende Mittel effizienter und angepasst an die Interessen der gesamten EU zwischen den Staaten umverteilen. Eine Übertragung von nationalen Kompetenzen an eine übergeordnete Instanz ist dafür unabdingbar. Es lohnt sich auch und gerade für Deutschland, an dieser Stelle nachzugeben, da nicht nur die momentanen Nettoempfänger, etwa in Südeuropa, sondern auch die nordeuropäischen Nettozahler wie Deutschland davon profitieren. Die Unterschiedlichkeit der Interessen der Mitglieder darf das Friedens- und Wohlstandsprojekt Europa nicht scheitern lassen. Mehr Solidarität und vertiefende Integration können die EU zu Handlungsfähigkeit und Führungsstärke führen.
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