In der öffentlichen Debatte ging es lange nur um die Eurozone und ihre Probleme. So stärkt man die europäische Gemeinschaft nicht. Vielmehr muss ein Weg aufgezeigt werden, wie alle Bürger von der EU profitieren können. Frankreich und Deutschland müssen jetzt gemeinsam für ein soziales Europa werben.
Die deutsch-französische Zusammenarbeit hat in der europäischen Integration immer wieder eine bedeutende Rolle gespielt und sie vorangetrieben. So initiierten der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und der französische Präsident Valéry Giscard d`Estaing u.a. die Bildung des Europäischen Währungssystems und die Direktwahl des Europäischen Parlaments. Politische Kompromisse, die von beiden Ländern ausgehandelt wurden, waren häufig die Grundlage für eine gesamteuropäische Einigung. Nicht umsonst haben die beiden Länder gerade erst eine Neuauflage des Elysée-Vertrages beschlossen.
Doch die Kooperation in Europa ist heute so gefährdet wie schon lange nicht mehr. In vielen Ländern haben nationalistische Parteien deutlich an Zuspruch gewonnen, indem sie mit europafeindlichen Parolen für einen stärkeren Nationalstaat werben. In einigen osteuropäischen Ländern versuchen die Regierungen, demokratische Grundprinzipien auszuhebeln, und missachten dabei die fundamentalen Werte der Union. Diese Entwicklungen machen deutlich, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, die europäische Gemeinschaft wieder zu stärken.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich deshalb nicht weniger als eine „Neugründung Europas“ zum Ziel gesetzt. Besonderes Gehör verschaffte er sich mit seinen Plänen für einen kompletten Umbau der Eurozone. Seine Vorschläge für einen gemeinsamen Haushalt und für einen Finanzminister der Eurozone sowie für die Errichtung eines Europäischen Währungsfonds haben die Debatte über eine Reform der EU dominiert. In seiner Rede in der Sorbonne hat Macron jedoch auch betont, dass es mehr Solidarität und Gerechtigkeit in der EU bedürfe und der Schwerpunkt nicht nur auf einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit liegen könne.
Ein Ansatz wäre, dass Europa sozialer wird. Die Sozialmodelle in Europa sollten schrittweise angeglichen werden. Auch dafür hat sich der französische Präsident ausgesprochen. Die Mitgliedstaaten sollten sich für eine „Europäische Union der Sozialstandards“ einsetzen, für faire Arbeitsmärkte und funktionierende Wohlfahrtssysteme. Es darf nicht sein, dass sich Europa vorrangig um Banken und Gläubiger kümmert. So jedenfalls ist die Wahrnehmung vieler Menschen.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass mögliche Reformschritte nicht nur für die Eurozone konzipiert werden. Die Bürger der gesamten Union müssen wieder von Europa überzeugt werden. Ob die Einführung des Euros in allen EU-Mitgliedsländern, wie der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker vorgeschlagen hat, dafür das geeignete Instrument ist, ist fraglich. Zu sehr ist die Gemeinschaftswährung durch die Finanzkrise belastet. Es braucht Reformen, von denen die Bürger direkter profitieren.
In den aktuellen Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD haben auch die deutschen Parteien einige schöne Bekenntnisse zu Europa gefunden. Auch sie bekennen sich in ihrem Sondierungspapier nun zu mehr Gerechtigkeit in der EU und fordern einen Sozialpakt für fairere Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem soll die Jugendarbeitslosigkeit stärker bekämpft werden und die Bedingungen für gemeinsame Grundsicherungssysteme abgesteckt werden.
Doch wird dies wirklich reichen? Werden diesen Bekenntnissen konkrete Schritte folgen? Durch den Einzug der AfD in den Bundestag wird eine Politik für Europa nicht einfacher.
Doch der französische Präsident hat die Richtung vorgegeben. Wenn Europa wieder für „Zukunft“ stehen soll, dann müssen seine Pläne sehr ernsthaft diskutiert werden. Mit Macron bietet sich nun die Chance für einen dringenden Neuaufbruch. Deshalb muss sich Deutschland auf eine Diskussion einlassen. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob der Wille und die Energie ausreichen, die europäische Gemeinschaft wieder neu zu beleben.
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