Die Coronakrise zeigt auf dramatische Weise die Notwendigkeit europäischer Solidarität und beschleunigt gleichzeitig eine Entwicklung, die seit Jahren zu beobachten ist: die immer tiefere Kluft zwischen dem Norden und Süden des Euroraums. Die Coronakrise ist auch eine Eurozonenkrise.
Das Ergebnis der zähen Verhandlungen der EU-Finanzminister über eine gemeinsame europäische Antwort auf die Wirtschaftskrise, die durch das Corona-Virus ausgelöst worden ist, vermittelt keine Großzügigkeit, auch keine einheitliche Vision oder echte Solidarität. Stattdessen bleibt – wie so oft auf europäischer Ebene – der Eindruck eines politischen Tauziehens. Wenn es um Geld geht, ist sich jeder Mitgliedsstaat selbst der nächste und die europäische Solidarität stößt an ihre Grenzen.
Das Gesetz der Stärkeren
Seit Jahren ist man in der Eurozone auf der Suche nach geeigneten makroökonomischen Stabilisierungsmechanismen – ohne wirklichen Erfolg. Vorstöße für mehr europäische Solidarität in Form einer supranationalen Arbeitslosenversicherung sind bisher im Sande verlaufen. Die 2013 von der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfond forcierten Eurobonds als mögliche Instrumente zur Lösung der Staatsschuldenkrise wurden von einem Teil der Mitgliedsstaaten aus Angst vor einer Vergemeinschaftung dieser Schulden abgelehnt. Die nun auch im Zuge der Coronakrise teilweise geforderte gesamteuropäische Schuldenhaftung scheiterte bisher wiederum an der fehlenden Zustimmung der Nordländer: Ja zu mehr europäischer Solidarität, aber Nein zu gemeinsamer Haftung – so auch der Marschruf aus dem Kanzleramt.
Die Stärkeren stützen die Schwächeren – oder?
Die klare Ablehnungshaltung der Niederlande, Österreichs und Deutschlands gegenüber gemeinsamen europäischen Anleihen ist dabei nicht nur ignorant, sondern auch ökonomisch fragwürdig. Die öffentliche Befürwortung seitens einiger führender, deutscher Ökonomen zeigt: es gibt durchaus eine ökonomische Argumentationsgrundlage für Coronabonds.
Zum einen würden Gemeinschaftsanleihen eine Absicherung für jene Länder bedeuten, deren Zugang zu den Kapitalmärkten – und damit zu günstiger Liquidität – gefährdet ist. So wäre sichergestellt, dass die Einzelstaaten genügend Handlungsspielraum haben, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern. Der Vorteil gegenüber klassischen Krediten: Durch die gemeinschaftliche Haftung wären die längerfristigen Folgen der Neuverschuldung dieser Länder durch den Schuldendienst verhältnismäßig gering. Zum anderen bieten Coronabonds die Möglichkeit, ein Zeichen der Stabilität zu setzen, gilt es doch, das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte in die Handlungsfähigkeit der europäischen Staaten wiederherzustellen. Gemeinschaftliche Anleihen würden die Kreditwürdigkeit der Banken absichern und damit das Bankensystem als solches stärken. Schädlichen Spekulationen könnte damit der Nährboden entzogen werden.
Genug ist nicht genug
Bisher von den EU-Finanzministern beschlossen ist ein 500 Milliarden Euro-Rettungspaket. Dieses umfasst neben ESM-Kreditlinien auch Maßnahmen zur Unterstützung und Förderung von Kurzarbeit sowie Kreditgarantien der Europäischen Investitionsbank für strauchelnde Unternehmen. Die makroökonomische Wirkung dieses Maßnahmenpakets ist begrenzt. So sind die ESM-Kreditlinien durch ihre Zweckbindung ausschließlich für entstandene Kosten im Gesundheitssektor zu verwenden, deren Anteil an den Gesamtkosten der Krise jedoch als verschwindend gering eingeschätzt werden muss. Darüber hinaus führen derartige Kredite zu einer dramatischen Neuverschuldung der betroffenen Mitgliedsstaaten.
Was die Coronakrise von der Finanzkrise unterscheidet und für eine gesamteuropäische Lastenverteilung spricht: es gibt in dieser Krise keine(n) Schuldigen. Die Wucht, mit der beispielsweise Italien vom Coronavirus getroffen wurde, ist folglich kein nationales Problem einer mangelhaften Haushaltsführung.
Einen langfristigen Masterplan für einen flächendeckenden, wirtschaftlichen Aufbau nach der Krise scheint es bisher jedoch nicht zu geben. Dabei ist jetzt entscheidend, dass die fiskalischen Spielräume der Einzelstaaten nicht weiter auseinanderdriften. Denn die Zukunft des Wirtschaftsraums Europa ist abhängig von der Fähigkeit seiner Mitgliedsstaaten, die nationalen Volkswirtschaften nach der Krise wieder anzukurbeln. Gelingt dies in Ländern wie Spanien und Italien nicht, könnte eine politische Dynamik entstehen, die letztendlich zu einem Zusammenbruch der Währungsunion führt. Ein düsteres Szenario, auch für Deutschland.
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