Als die Kinder bereits wieder im Europa-Park Achterbahn fuhren, durften sie in diesem Sommer immer noch nicht jeden Tag im Klassenraum sitzen. Der Fokus in der Corona-Krise wurde nicht auf das Wohl der Schülerinnen und Schüler gelegt. Ein Plädoyer für das Recht auf Bildung trotz des Rechts auf Gesundheit.
Zu Hause vor dem Bildschirm sitzen, teilweise digital von Lehrenden betreut, teilweise allein vor einem riesigen Berg von Aufgaben. Das war Schule in den Zeiten von Corona, nicht wochen-, sondern monatelang. Die Schule als Ort des Miteinanders existierte nicht, denn digitaler Unterricht konnte und kann echte Freunde und analoges Lernen nicht ersetzen. Die Kinder fühlten sich in der Krise allein gelassen.
Die Corona-Krise funktioniert wie ein Brennglas: Schülerinnen und Schüler, die schon im regulären Unterrichtsbetrieb Schwierigkeiten hatten, fielen durchs Raster. Ein Viertel der Kinder wurden durch die Fernlehre nicht erreicht. Das Elternhaus entscheidet: Charlotte im Einfamilienhaus lernt am eigenen Schreibtisch mit Tablet. Jonas im Plattenbau muss die Aufgaben vom Handybildschirm abschreiben und gleichzeitig seine Geschwister betreuen. Die Notbetreuung und die mancherorts angebotene Präsenzlehre für benachteiligte Kinder waren ein wichtiger Schritt. Doch die Corona-Krise hat deutlich gemacht: Die Schule ist nicht nur ein Ort der Bildung, sondern auch und gerade ein Ort des sozialen Miteinanders. Hier wird voneinander gelernt, gespielt und Gemeinschaft erlebt.
Home-Schooling kann Präsenzlehre nicht ersetzen
Manche Lehrkräfte haben umfassend die Möglichkeiten genutzt, die ihnen die Digitalisierung bot. Andere haben Stapel voller Arbeitsblätter verschickt und diese nicht einmal kontrolliert. Auch hier wirkt die Corona-Krise wie ein Vergrößerungsglas: es kommt auf die Lehrerinnen und Lehrer an. Die Hattie-Studie aus Australien belegt, dass die Lehrer-Schüler-Beziehung für den Lernerfolg entscheidend ist. Doch manche Lehrkräfte waren so begeistert vom selbstständigen Lernen der Kinder, dass sie sogar vorgeschlagen haben, wöchentlich einen regulären Schultag von zu Hause einzuführen. Das darf nicht passieren! Auch im Klassenraum agieren Lehrerinnen und Lehrer unterschiedlich, doch hier muss sich jede Lehrkraft mit den Schülerinnen und Schülern auseinandersetzten. Mehr selbstständiges Lernen ist eine gute Idee, aber nur im geschützten Raum der Schule.
Recht auf Bildung gegen Recht auf Gesundheit
Die Pandemie hat eine schwerwiegende Frage aufgeworfen: Wie wertvoll ist uns das Recht auf Bildung? Lehrerverbände ordneten das Recht auf Bildung dem Recht auf Gesundheit unter. Die Hauptsorge waren erkrankte Lehrkräfte; einen Regelbetrieb ohne Abstand nach den Sommerferien 2020 wollten sie verhindern. Die Kultusministerkonferenz dagegen entschied, dass das Recht auf Bildung am Besten im normalen Schulbetrieb umgesetzt werden kann, und setzte dies dann auch bundesweit um. Es ist schon richtig: Abstandsregeln sind aufgrund der Raumkapazitäten nicht einzuhalten, aber nur ein täglicher Unterricht in der Schule entspricht dem Recht auf Bildung für alle Kinder.
Es darf zukünftig nicht mehr passieren, dass im Falle gesundheitlicher Gefahren ausgerechnet die Schülerinnen und Schüler durchs Raster fallen. Das Recht auf Bildung sollte von der Politik mit höchster Priorität behandelt werden. Kein Kind soll sich wieder so vergessen fühlen wie im Frühjahr 2020. Die Schule ist ein Ort der Bildung, aber mehr noch ein wichtiger sozialer Raum, der unserer Gesellschaft nicht verloren gehen darf. Denn die Schülerinnen und Schüler freuten sich schon nach wenigen Wochen des Home-Schoolings nicht auf die Sommerferien, sondern auf den Schulanfang.
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