Dieser Beitrag wurde mit dem zweiten Preis des 3. Think Ordo!-Essaywettbewerbs ausgezeichnet.
Mehr Wettbewerb, eine effizientere Ressourcennutzung und sinkende Transaktionskosten – das sind die Versprechen der Digitalen Ökonomie. Doch sind die Veränderungen der Digitalisierung auch vereinbar mit unseren ordnungspolitischen Vorstellungen? Bereits heute verändern digitale Innovationen unsere Art zu arbeiten, den Besitz von Gütern sowie den unternehmerischen Wettbewerb und drohen so, die Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft einstürzen zu lassen.
Neue Arbeit
Besonders im IT-Bereich, aber auch in klassischen Branchen der „Old Economy“, geht der Trend zu mehr selbstständigen, projektbasierten Arbeiten. Die Vorteile für die Arbeitnehmer sind flexiblere Arbeitszeiten, abwechslungsreiche Projekte und die Unabhängigkeit von einem bestimmten Arbeitgeber und Büro. Ein Nachteil wiegt aber besonders im Sozialversicherungsbereich schwer: Selbstständige zahlen im Allgemeinen keine Sozialversicherungsbeiträge. Findige Unternehmer können daraus Kapital schlagen, indem sie Personen als Selbstständige anstellen, obwohl sie de facto wie jeder andere Arbeitnehmer in das Unternehmen eingebunden sind.
Um dieser sogenannten Scheinselbstständigkeit Herr zu werden, prüft die Deutsche Rentenversicherung das Anstellungsverhältnis bei jedem Auftrag nach verschiedenen Kriterien. Lautet das Ergebnis einer solchen Untersuchung auf Scheinselbstständigkeit, werden teilweise drastische Beitragsnachzahlungen fällig. Für viele Freelancer der IT-Branche ist aber oftmals eine Einbindung in das Unternehmen unerlässlich. Wenn diese deshalb als Scheinselbstständige gebrandmarkt werden, bedeutet das für sie finanzielle Einbußen oder sogar eine Strafverfolgung. Als Konsequenz werden Arbeitsverträge komplizierter und Unternehmen lagern zunehmend IT-Dienstleistungen ins Ausland aus – der gut gemeinte Ansatz zum Schutz vor Ausbeutung wird zum Nachteil für die, die man eigentlich schützen will. Ein adäquater Ordnungsrahmen für die neue Arbeitswelt ist somit unerlässlich, ansonsten wird die Vertragsfreiheit durch eine fehlende Rechtssicherheit unterminiert.
Neue Besitzformen
Nicht nur unsere Arbeitswelt wird flexibler, sondern auch der Umgang mit Gütern. In der Digitalen Ökonomie geht der Trend zur Sharing-Economy: Produkte werden geteilt und geliehen, anstatt sie selbst zu besitzen. Dadurch entsteht ein größerer Wettbewerb zwischen den Anbietern, die Verbraucher profitieren durch eine größere Auswahl und niedrigere Preise. Plattformen wie Airbnb treten als Dienstleister auf, die eine temporäre Nutzung von Gütern zwischen Privatpersonen vermitteln. Diese Tauschhandlungen sind zwar kein immanentes Phänomen der digitalen Welt, jedoch hat sich der Kreis von potenziellen Verbrauchern und Anbietern durch das Internet und die Bewertungssysteme auf den Plattformen massiv vergrößert. Dadurch entstand ein neuer Massenmarkt, der durch die gemeinsame Nutzung der Ressourcen unsere Auffassung von Privateigentum und Haftung einzureißen droht. Konträr zur Unsicherheit mancher bleiben jedoch auch beim temporären Verleihen die Eigentumsrechte klar verteilt – eine gemeinsame Nutzung führt nicht zu einem gemeinsamen Besitz. Daher bleibt auch das Haftungsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft bestehen: Der private Anbieter ist für sein Eigentum verantwortlich und muss bei Missbrauch auch zur Rechenschaft gezogen werden. Was sich verändert hat, ist zwar der Umfang des Leihens und Verleihens – unsere Soziale Marktwirtschaft hat jedoch abseits von überstürzten und wirkungslosen Verboten ein umfassendes Instrumentarium, diese Prozesse zu regulieren. Ein größeres Problem bei diesen Angeboten liegt in der divergierenden Regulierung von privaten und gewerblichen Anbietern und den daraus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen.
Neuer Wettbewerb
Ein größerer Wettbewerb durch digitale Innovationen bedeutet nicht automatisch einen besseren Wettbewerb. Vor allem verschiedene Regularien für private und gewerbliche Anbieter besitzen das Potential, den Wettbewerb negativ zu verzerren. Bei privaten Anbietern von Übernachtungsmöglichkeiten werden beispielsweise die Richtlinien zum Brandschutz und Hygienevorschriften nicht angewandt – für das Hotelgewerbe ist dies ein klarer Wettbewerbsnachteil. Im Gegensatz dazu kann jedoch auch – wie im Falle des Fahrtenvermittlers Uber – eine gleiche Regulierung zum faktischen Verbot eines Anbieters führen. In Deutschland benötigt man einen Personenbeförderungsschein samt Ortskundeprüfung, um Menschen von einem zum anderen Ort transportieren zu dürfen: Für das Geschäftsmodell von Uber ist das der Super-GAU. Ist dies wirklich eine notwendige Voraussetzung oder nur der Versuch, eine bestimmte Berufsgruppe zu schützen? „Tatsächlich möchte man sich abschirmen, Zäune um Berufe ziehen, man möchte abwehren, möchte schützen, Positionen mit künstlichen Mitteln bewahren“, schrieb bereits Ludwig Erhard im Hinblick auf derartige Befähigungsnachweise. Dabei sollte der Gesetzgeber dies zum Anlass nehmen, die Bürokratie abzubauen und überkommene Richtlinien anzupassen. Orientierungspunkt sollte hierbei sein, ob es denn ohne eine bestimmte Regulierung wirklich zu Marktversagen kommt.
Weiterhin können sich bei großen Internetunternehmen wie Facebook, Amazon oder Google monopolistische Strukturen ausbilden, wenn sie durch Netzwerkeffekte auf ihren Plattformen eine besondere Marktmacht erreichen. Ein Monopol behindert den Wettbewerb, da es durch seine Marktmacht das Angebot künstlich verknappt und so die Preise steigen lässt. Nun verhält es sich in der Digitalen Ökonomie aber so, dass viele Leistungen kostenlos erbracht werden und damit nach alter Definition kein Markt vorliegt. Als Folge gestalteten sich etwaige Monopolermittlungen äußerst schwierig.
Mit der 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen reagierte der Gesetzgeber jedoch im Jahr 2017: seitdem besteht auch dann ein Markt, wenn eine Leistung kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Auch wurden Kriterien wie das Ausmaß der Netzwerkeffekte und der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten in die Bewertung der Marktmacht eines Unternehmens aufgenommen. Zukünftig müssen aber vor allem bei vermehrten Übernahmen innerhalb einer Branche, wie es bei Facebook mit den Kommunikations-Apps Instagram und WhatsApp vorkam, noch stärkere Übernahmekontrollen angewandt werden. Wenn andere Plattformen im Bereich der sozialen Medien für Nutzer keine reelle Alternative mehr darstellen, werden die Markteintrittsbarrieren unverhältnismäßig hoch und die Marktmacht eines Unternehmens erreicht eine kritische Schwelle. Um in der Zukunft zu bestehen, muss unser Wirtschaftsstil und dessen Ordnungspolitik die Geschäftsmodelle der Digitalen Ökonomie verstehen und sich dahingehend anpassen. Weder vorschnelle Verbote noch eine Laissez-faire-Politik gegenüber den Digitalunternehmen werden den Wohlstand in Deutschland zukünftig sichern. Die Soziale Marktwirtschaft wurde niemals derart konzipiert, dass sie an alten Prinzipien und immer gleichen Richtlinien stur festhält. Besonders heute gilt es, dies zu verinnerlichen und der Sozialen Marktwirtschaft ein Update für das 21. Jahrhundert zu verordnen.
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