Der Europäische Aufbaufonds: Eine Aussetzung des Haftungsprinzips?

„Never let a good crisis go to waste!“ Kritiker befürchten, dass der EU-Aufbaufonds, mit dem Europa aus der Coronakrise herauswachsen soll, in Wirklichkeit ganz anderen Zielen dient. Sie sehen im Fonds den Grundstein für eine Fiskalunion.

Am 25. März 2021 stimmte der Bundestag dem „Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz“ zu. Vorausgesetzt, dass die anderen EU-Staaten gleichlautenden Gesetzen in ihren Ländern ebenfalls zustimmen, bedeutet das, dass die Europäische Union von nun an Kredite aufnehmen kann, um Investitionen zu finanzieren. Bisher konnten nur die einzelnen Mitgliedsstaaten Schulden aufnehmen, nicht jedoch die EU selbst. Zurückgezahlt werden die neuen Schulden aus dem EU-Haushalt.

Die vorerst geplanten 750 Milliarden Euro sollten nicht nur notorischen Euroskeptiker und „Defizitfalken“, also Anhängern möglichst kleiner Staatshaushalte, Sorgen machen, sofern die Schuldenaufnahme nicht mit klaren Regeln verbunden wird. Anderenfalls könnte der von Kritikern befürchtete unwiderrufliche Schritt in die Fiskalunion erfolgen.

Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP haben dem Gesetz zugestimmt, betonen aber die Einmaligkeit dieses Vorgehens. Doch bereits dies ist ein klarer Kurswechsel für die Konservativen und Liberalen. Bei der Einführung des Euros versprach der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl noch, dass die gemeinsame Währung nicht zu einer gemeinsamen Haftung für Schulden führen würde. Auch die FDP beteuerte bis vor kurzem, gegen die Möglichkeit zu sein, dass sich die EU verschuldet. Die SPD hingegen liebäugelt offen mit einer europäischen Fiskalunion. Kurz gesagt: Die Fiskalunion ist keine Utopie mehr.

Generell gilt, dass bei einer mutigen Aufnahme von Schulden ein Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft nicht vergessen werden darf: das Haftungsprinzip. Schon der Freiburger Ökonom und Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft Walter Eucken sah das Haftungsprinzip als essenzielle Voraussetzung für ein verantwortliches Handeln der wirtschaftlichen Akteure an. Für Eucken galt: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“. Auf Europa übertragen muss daher gefragt werden, wo der Anreiz, fiskalisch verantwortungsbewusst vorzugehen, liegt, wenn ein möglicher Schaden, etwa ein Staatsbankrott, von den europäischen Partnern getragen wird. Schnell wird offensichtlich, welche Anreizprobleme in einer europäischen Fiskalunion lauern.

Wohin die Gelder des Aufbaufonds fließen sollen, wird klar definiert: zum Beispiel in die Bereich Umwelt und Digitalisierung. Zweifellos wichtige Anliegen. Mit einem „Weiter so!“ kann der Klimawandel nicht verlangsamt werden. Auch digital ist der Großteil der EU international nicht wettbewerbsfähig. Aber wird das Geld aus den Fonds wirklich sinnvoll ausgegeben? Die Erfahrung der Vergangenheit und Gegenwart lässt Zweifel aufkommen, denn mit EU-Geldern lassen sich viele schöne Dinge anstellen. In Italien gab es bereits Diskussionen über Steuersenkungen. Ohne Zweifel können Steuersenkungen eine nationale Wirtschaft wieder in Fahrt bringen, aber das traditionelle Verständnis war stets, dass ein Land dies selbst finanziert und nicht in einer Fiskalunion von anderen bezahlen lässt.

All dies passiert vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung in vielen Ländern Europas, darunter ganz besonders auch Deutschland. Diese Alterung macht die Finanzierung der Renten deutlich schwieriger und unpopuläre Maßnahmen wie ein erhöhtes Rentenalter stehen an. Doch wie will man der eigenen Bevölkerung vermitteln, dass sie bei höherer Beitragslast länger arbeiten soll, um anderswo Steuersenkungen, eine Stabilisierung der Sozialbeiträge oder ein Einfrieren des Rentenalters auf niedrigerem Niveau als daheim zu finanzieren? Die gefährliche Antwort könnte sein, nichts zu tun und darauf zu setzen, dass die Partner in der Fiskalunion die steigenden Kosten bezahlen werden. Rentenreformen? Fehlanzeige. 

Die Liste der kostspieligen Herausforderungen ließe sich beliebig verlängern. Wenn Europa mit den Supermächten China und Amerika mithalten möchte, geht es nur mit zusätzlichen Ausgaben. Ein geschlossenes Auftreten ist von großer Bedeutung. Solidarität muss das Grundprinzip der EU darstellen, doch der Begriff der Solidarität muss weit gefasst sein. Es geht dabei nicht nur um Transfers, sondern auch darum, ein gemeinsames Regelwerk zu schaffen, dass die richtigen Anreize für alle Mitglieder setzt – auf der Grundlage von Euckens Haftungsprinzip. Ohne dieses besteht die reale Gefahr, dass eine gemeinsame Schuldenaufnahme zum Blankoscheck für spendable Regierungen im Wahlkampf wird.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

0 Antworten zu „Der Europäische Aufbaufonds: Eine Aussetzung des Haftungsprinzips?“

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert