Wohlstand vs. Pandemie?!

Für Ludwig Erhard stand „Wohlstand für Alle“ an erster Stelle. Ein Ziel, welches bereits unter normalen Umständen schwierig zu erreichen ist. Ist in Zeiten einer Pandemie überhaupt an Wohlstand zu denken? Die Auswirkungen von Covid-19 zumindest machen sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar. 

Mit Wohlstand verbinden die meisten Menschen nahezu ausschließlich materiellen Wohlstand. Dies ist wahrscheinlich die Folge daraus, dass er im Rahmen politischer Entscheidungen regelmäßig als Indikator herangezogen wird, beispielsweise mithilfe des Bruttoinlandsprodukts. Zwar stellt der materielle Wohlstand einen wichtigen Teil des Gesamtwohlstands dar, jedoch besteht dieser nicht ausschließlich daraus und sollte schon gar nicht auf diesen reduziert werden. Immaterieller Wohlstand bildet einen mindestens ebenso großen Teil des Gesamtwohlstands ab. Zu ihm gehören unter anderem soziale Aspekte, Teilhabe und persönliches Wohlbefinden. Wenig überraschend wird Wohlstand daher individuell unterschiedlich wahrgenommen.

Geht es um die Corona-Pandemie, ist in Politik und Medien häufig von Wohlstandsminderungen als Folge der Pandemie die Rede. Immer wieder wird von ihr als „Wohlstandsbremse“ gesprochen. Doch woher kommt diese Einschätzung und welche Faktoren des Wohlstands sind tatsächlich negativ betroffen?

Betrachtet man den Jahreswohlstandsbericht 2021 der Grünen, der auf dem so genannten Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) beruht, dann beziehen sich die darin genannten Kernindikatoren nicht allein auf den Bereich der Ökonomie, sondern mindestens gleichberechtigt auf Ökologie, Gesellschaft und Soziales. 

Bei der Frage, inwieweit in Deutschland ökologischer Wohlstand erreicht wird, zeigt sich ein düsteres Bild. Zwar lässt sich aktuell ein Rückgang der CO2-Emissionen durch den Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität und Mobilität während der Pandemie feststellen, jedoch ist der ökologische Fußabdruck der deutschen Bevölkerung weiterhin nicht wirklich vorzeigbar. Ob das ökologische Wohlstandsniveau ohne Pandemie höher wäre, ist fraglich. 

Im Gegensatz dazu sind die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie deutlicher erkennbar. Weltweit sind Arbeitnehmer von Kündigungen und Kurzarbeit betroffen und erleiden Einkommenseinbußen. Während die Arbeitslosigkeit steigt, bleiben Investitionen aus. Wenig verwunderlich also, dass Deutschland infolgedessen mit einem Rückgang des privaten Konsums zu kämpfen hat. Dazu kommt ein Anstieg der ökonomischen Ungleichheit, welcher die Situation verschärft, da der gefühlte Wohlfahrtsverlust bei niedrigeren Einkommen deutlich höher ist als bei höheren Einkommen. 

Hinsichtlich Gesellschaft und Soziales sind die Ergebnisse vielschichtiger. Es wird eine größere Unzufriedenheit bei sozialen Kontakten, Gesundheit und Glück ausgemacht und das gesellschaftliche Engagement ist gesunken. Gleichzeitig spielt sich durch die Pandemie ein größerer Teil des Lebens in den eigenen vier Wänden ab, sodass das Familienleben, einschließlich Hausarbeit und Kinderbetreuung, an Bedeutung gewinnt. Zwei Faktoren, die in die Berechnung des NWI eingehen. Der Nationale Wohlfahrtsindex dürfte daher weniger zurückgehen als das nur auf dem Bruttoinlandsprodukt basierende Wirtschaftswachstum. Nach eigener Einschätzung der erwachsenen deutschen Bevölkerung ist das Wohlstandsniveau im Dezember 2020 um 2,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahresmonat gesunken. Optimisten vertreten die Position, dass es sich dabei nur um ein temporäres Problem handelt. Andere sind der Meinung, dass der Einbruch beim Wohlstand auch langfristig nur schwerlich aufzuholen sein wird. Fakt ist: Wohlstand wird nicht nur von Zahlen bestimmt, sondern liegt auch im persönlichen Empfinden der Menschen. Viele von ihnen waren und sind durch die Corona-Pandemie von Zukunftsängsten geplagt. Wohlstand und Wohlstandszuwachs in der Pandemie sind möglich, aber umso schwieriger zu erreichen, je größer das persönliche Unbehagen mit der Situation ist. Gelingt es, die Bevölkerung von ihren Ängsten zu befreien, wird sich das persönliche Wohlbefinden schnell erhöhen. Können ihr die Ängste nicht genommen werden, hat die Pandemie einen drastisch negativen Einfluss auf den persönlichen Wohlstand – und Hand aufs Herz: ein sorgenfreies Leben ist für viele Menschen momentan nicht möglich. Vom „Wohlstand für Alle“ sind wir daher weit entfernt.

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