Wegen der uns bevorstehenden Klimakrise gibt es dringenden Handlungsbedarf. Vor kurzem sprach ein niederländisches Gericht ein kontroverses Urteil und verpflichtete den Öl-Giganten Shell zu klimaneutralem Wirtschaften. In Diskussionen darüber, ob Gerichte Klimapolitik betreiben dürfen und sollen, wird vor allem Eines deutlich: Das Urteil ist eine Reaktion auf internationales politisches Versagen.
Von den einen als bahnbrechendes und wegweisendes Klimaurteil bezeichnet, wird es von anderer Seite vehement kritisiert: Ein Gericht in Den Haag hat Ende Mai 2021 ein Urteil gesprochen, das Präzedenzcharakter haben könnte. Der niederländische Öl-Gigant Shell muss seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent netto senken, gemessen am Jahr 2019.
Europas größter Ölkonzern investiere noch immer massiv in den Abbau fossiler Brennstoffe und trage auch eine Mitverantwortung für seine Zulieferer und Endabnehmer. Als multinationales Unternehmen mit einer Emissionsbilanz, welche die der Niederlande jährlich um das etwa Neunfache übersteigt, gefährde der Konzern die Zukunft und das Recht auf Leben aller Niederländer. So die Begründung der Richter, die damit einer Umweltklage Recht gaben.
Nie zuvor wurden im Zuge einer Zivilklage die Klimaziele für ein privates Unternehmen so radikal vorgegeben. Wird das Urteil rechtskräftig, wäre Klimaschutz einklagbar. Es würde aber auch bedeuten: Gerichte betreiben faktisch Klimapolitik.
Das ist sehr dünnes Eis. Tragendes Prinzip der Verfassung eines Rechtsstaats ist die Gewaltenteilung, hier gibt es keinen Raum für Interpretation. Doch eine niederländische Juristin argumentiert wie folgt: Eine lebensfähige Umwelt bilde überhaupt erst das Fundament für eine funktionierende Demokratie, die Rechte zukünftiger Generationen würden aktuell nicht ausreichend in die Debatte mit einbezogen.
Zweifellos müssen Konzerne wie Shell zu einer klimaneutralen Zukunftsplanung verpflichtet werden. Aber wessen Aufgabe ist das?
Niemand kann genau sagen, wie die notwendigen Klimaziele am besten zu erreichen sind. Es besteht ein Risiko, dass vom Staat – oder der Justiz – Entscheidungen getroffen werden, die das Verhalten der privaten Marktakteure erheblich verzerren und dadurch hohe soziale Kosten mit sich bringen. Dezentrale Lösungen, bei denen marktwirtschaftliche Mechanismen sinnvoll genutzt werden, wären ökonomisch gesehen ein geeigneteres Mittel. Dabei ist allerdings entscheidend, dass die Politik zielführende Regeln dafür vorgibt.
Als ein möglicher Lösungsansatz könnte etwa die Einführung eines globalen Emissionsrechtehandels funktionieren. Hierbei legt der Staat ökologisch vertretbare CO2-Gesamtmengen fest, die Zertifikate werden dann auf dem Markt frei gehandelt. Somit bekommt klimaschädliches Verhalten einen hohen und immer weiter steigenden Preis, was wiederum Innovationsanreize schafft.
Doch auch hier kommt es in der Realität zu Verzerrungen, denn Umweltkatastrophen machen keinen Halt vor Ländergrenzen. Eine Vielzahl von Staaten mit einer bunten Mischung von Rechtssystemen und Regierungsformen muss auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Die Komplexität des Vorhabens und die sehr unterschiedlichen Interessenlagen der Staaten bilden den Nährboden für opportunistisches Verhalten. Bereits jetzt ist das Phänomen des Carbon Leakage zu beobachten: anstatt in Effizienz und Nachhaltigkeit zu investieren, verlagern Konzerne ihre Industrieanlagen lieber in Länder mit entspannterem Umweltrecht.
Auch wenn also die Kompetenzfrage der Richter zu diskutieren bleibt, muss das Urteil aus Den Haag ein Weckruf für den öffentlichen und politischen Diskurs sein. Die Entscheidung des Gerichts ist eine radikale Reaktion auf fundamentales Politikversagen, eine selbstverschuldete Mangelkompetenz der Legislative. Die Uneinigkeit darüber, wie die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens aussehen soll, ist nur ein Beispiel dafür.
Es fehlt an ambitioniertem und generationenübergreifendem Denken. Wir brauchen die nötige Infrastruktur für transnationale Lösungen von Regierungen, die ihre Verantwortung nicht bequem anderen überlassen.
Wäre zukunftsorientierter Klimaschutz, auch unter Einbezug der Privatwirtschaft, besser in unserer Gesetzgebung verankert (und damit einklagbar) müssten wir nicht über die demokratische Legitimierung von richterlichen Entscheidungen diskutieren. Das wäre in der Tat wegweisend, auch für multinationale Konzerne wie Shell.
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