Es gab wohl selten einen Präsidenten, welcher so ersehnt wurde wie der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, Joseph „Joe“ Biden. Er ist die Verheißung, dass Amerika wieder ein ernst zu nehmender Handelspartner und zugleich eine neue außenhandelspolitische Perspektive für Europa sein wird. Während der Trump-Administration waren die wirtschaftspolitischen Beziehungen zu Europa eher kühl. Kommt nun die ersehnte Veränderung? Diese hat die Europäische Union dringend nötig, denn schon lange vor der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass der Welthandel von neuen Akteuren bestimmt wird.
Airbus und Boeing, Stahl und Weichkäse
In Joe Bidens Wahlkampf stand die Außenhandelspolitik nicht im Mittelpunkt. Doch Team Biden muss sich neben den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie natürlich auch um die strapazierten Beziehungen zur EU kümmern. Das lästige Thema der Strafzölle ist dabei ein geeigneter Startpunkt. Angefangen mit einer Entscheidung der WTO von vor über 16 Jahren, schwelt hier ein Konflikt über rechtswidrige Subventionen für die beiden Flugzeuggiganten Airbus und Boeing. Daraus resultierten Strafzölle auf Aluminium und Stahl und die Aussicht auf einen Handelskrieg unter Bidens Vorgänger Donald Trump.
Im Jahr 2018 hatte sich die Situation hochgeschaukelt, nachdem auch Zölle auf Erdnussbutter, Motorräder, Wein und französischen Weichkäse erhoben wurden. Diese Zuspitzung passierte auch deshalb, weil weder die USA noch die EU bereit zum Einlenken waren. Unter Biden hat sich die Situation fürs Erste entspannt. Ist das ein Zeichen für eine Kehrtwende der bisherigen Außenhandelspolitik?
Die ersten Monate im Amt und nun?
Es besteht in dieser Frage zumindest Hoffnung, denn Joe Biden hat kein Interesse an Trumps Vermächtnis. Er trat wieder in das Pariser Klimaschutz-Abkommen ein und betonte das transatlantische Bündnis. Des Weiteren wurde auf dem EU-USA-Gipfeltreffen im Juni 2021 bekannt gegeben, dass die bestehenden Strafzölle und damit der Kern des Handelskrieges erst einmal bis 2026 ausgesetzt werden. Von besonderer Bedeutung für Europa und ganz besonders Deutschland ist die Sicherheit, dass damit unter Biden keine Autozölle eingeführt werden. Es ist eine Geste, welche auch die Europäer dazu bewegen sollte, ihre Zölle auf symbolträchtige Produkte wie Harley-Davidson-Motorräder und Erdnussbutter nicht nur auszusetzen, sondern am besten gleich abzuschaffen. Vorerst ist damit aber nicht zu rechnen.
Dennoch stellt er den Handelskrieg nicht ein?
Warum also werden die Strafzölle nur ausgesetzt und nicht eingestellt? Wieso gibt es keine Einigung bei den Stahl- und Aluminiumzöllen? Joe Biden muss auch auf nationaler Ebene mit seiner Wirtschaftspolitik glänzen. Das wird ihm mit gänzlich erlassenen Strafen und einer weiteren Importschwemme von billigem Stahl aus Asien allerdings kaum gelingen. Was bei Joe Biden gerade zu beobachten ist, ist eine handelspolitische, aber durchaus auch geopolitische Maßnahme, um Europa zur Interaktion mit Amerika und möglicherweise auch zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen China zu bewegen. Es ist ein Geschäft der Art „hilfst du mir, helfe ich dir“, zum Beispiel durch gegenseitige Investitionstätigkeit auf amerikanischem und europäischem Boden. So verliert ein drohender Handelskrieg an Bedeutung und die EU kann auf einen erstarkten Wirtschaftspartner bauen.
Dollar oder Yen?
Durch den Brexit ist der europäische Binnenmarkt geschrumpft und auch die USA haben durch die Corona-Pandemie und den „Trumpismus“ an wirtschaftlicher Bedeutung verloren. Währenddessen verdeutlicht ein pazifisches Freihandelsabkommen ohne Beteiligung der USA die asiatische Bedrohung. Umso nötiger braucht Biden die EU als Verbündeten. Gleichermaßen ist aber auch Europa auf Biden angewiesen. Denn der amerikanische Präsident steht für Stabilität und Verantwortungsbewusstsein. Die gegebenen Umstände sind noch keine ausgestreckte Hand, aber mehr als Europa momentan erwarten kann. Und bekanntermaßen soll man nehmen, was man bekommen kann.
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