„Früher war alles besser“, ein Spruch, der so populär wie falsch ist. Denn in vielen Bereichen unseres Lebens haben sich die Umstände in den letzten Jahrzehnten enorm verbessert. Trotzdem ist Vergangenheits-Verherrlichung in Mode. Woher kommt der pessimistische Blick auf die Gegenwart?
Zahlreiche Faktoren wirken sich auf die wahrgenommenen Lebensumstände der Menschen aus. Der materielle und immaterielle Wohlstand eines Landes nimmt dabei einen großen Stellenwert ein. So wünschen sich die Menschen genug zu essen und ein Dach über dem Kopf, während sie ein langes und gesundes Leben genießen.
Zur Messung des materiellen Wohlstands kann das Pro-Kopf-Einkommen verwendet werden. Wenn in Deutschland früher alles besser war, müsste sich der Wohlstandsindikator in den vergangenen Jahrzehnten reduziert haben. Hat er aber nicht. So verdreifachte sich das Pro-Kopf-Einkommen zwischen 1965 und 2020 unter Berücksichtigung von Preissteigerungseffekten. Ein Beispiel mag verdeutlichen, was das für die Menschen bedeutet haben könnte. So standen im Jahr 1965 für jeden Deutschen ca. 22 Quadratmeter an Wohnfläche zur Verfügung. Im Jahr 2020 waren es mehr als doppelt so viel. Aufgrund des steigenden materiellen Wohlstands können sich heutzutage mehr Bundesbürger ausgiebigen Wohnraum leisten, als dies noch vor 50 Jahren der Fall war.
Manch einer mag gegen diese Zahlen einwenden, dass der materielle Wohlstand für die Lebenszufriedenheit unwesentlich sei und andere Aspekte sehr viel wichtiger seien. Allerdings haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auch immaterielle Wohlstandsindikatoren wie die Lebenserwartung und Gesundheit verbessert.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklungen sind viele Menschen der Meinung, dass es früher um das Leben in Deutschland besser bestellt war als heute, und so wünschen sich zahlreiche Bundesbürger die Vergangenheit, am liebsten die 1980er Jahre, wieder zurück. Klar, die Herausforderungen unserer Welt sind groß, aber ist das Grund genug, sich das Jahrzehnt von Tschernobyl und Vokuhilas herbeizusehnen?
Einen Erklärungsansatz für den zunehmend pessimistischen Blick auf die Gegenwart bietet die sich seit Jahren wandelnde Informationsbeschaffung. So sind soziale Medien zu einem festen Bestandteil des Nachrichtenrepertoires vieler Bundesbürger geworden. Von Facebook bis Twitter erhalten Nutzer ununterbrochen Informationen zu den wichtigsten Ereignissen. Dabei wird jedoch häufig ein verzerrtes Bild der Realität gezeichnet, denn die meisten geposteten Inhalte werden keiner vorhergehenden Kontrolle auf Richtigkeit unterzogen.
Während früher der professionelle Journalist versucht hat zu verhindern, dass Unwahres veröffentlicht wird, ist diese Barriere in den vergangenen Jahrzehnten gefallen. Auf diese Weise landen Fake News und Halbwahrheiten auf den Smartphones der Nutzer und zeichnen ein düsteres Bild der Gegenwart, um die es von Jahr zu Jahr schlechter bestellt zu sein scheint.
Den Plattformbetreibern kommt daher eine große Verantwortung zu. Um zu verstehen, was auf der Welt passiert, müssen Nutzer die Möglichkeit haben, fundierte von unfundierten Nachrichten zu unterscheiden. Die Streamingplattform Spotify hat vor kurzem einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht, indem Beiträge zu Covid-19 mit Hinweisen versehen werden, die zu verlässlichen Informationsquellen führen. Durch eine solche Praxis wird eine Meinungsbildung ermöglicht, die auf einer sauberen Datengrundlage aufbaut, ohne die Rolle eines Zensors einzunehmen.
Andere Plattformbetreiber sollten sich daran ein Beispiel nehmen, um die Debattenkultur in die richtige Richtung zu führen und um den teils unbegründeten Gegenwarts-Pessimismus abzubauen.
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