Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hat in den vergangenen Wochen eine beeindruckende Wende genommen. Als Konsequenz aus dem Ukraine-Konflikt warf die Bundesregierung langjährige Grundsätze deutscher Weltpolitik über den Haufen und kündigte einen Paradigmenwechsel an. Wie steht es um die Erfolgsaussichten des ambitionierten Vorhabens?
Das Erstaunen war groß, als Olaf Scholz Ende Februar eine Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik verkündete. Denn die Bundesrepublik verstand es über Jahre hinweg, in internationalen Konflikten als ehrliche Vermittlerin aufzutreten und durch Mediation nicht-militärische Lösungen herbeizuführen. Das durch zwei verlorene Weltkriege pazifistisch geprägte Land fühlte sich in der Rolle des Mediators so wohl, dass es die eigene militärische Stärke lange vernachlässigte.
So stießen NATO-Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben oder europäische Pläne einer gemeinsamen Sicherheitspolitik in der Vergangenheit häufig auf wenig Begeisterung in Berlin. Regelmäßig beklagten sich Sicherheitsexperten über die fehlende Bereitschaft Deutschlands, mehr Verantwortung in der Weltpolitik zu übernehmen und Berichte über eine kaputt gesparte Bundeswehr ließen den Eindruck eines Landes entstehen, auf das im Angriffsfall kein Verlass sei.
Groß dürften daher die Sorgen bei der Bundesregierung gewesen sein, als Putin Ende Februar das Minsker Friedensabkommen in der Luft zerriss und einen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun brach. Naiv, wenn nicht sogar gefährlich, erschien auf einmal Berlins bisherige Strategie.
Doch anders als die meisten vermuteten, reagierte die Bundesregierung mit einer Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik. Denn anstelle der Mediation trat eine massive militärische Aufrüstungsinitiative. So erhält die Bundeswehr ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, um notwendige Anschaffungen und Investitionen durchführen zu können. Gleichzeitig sollen in Zukunft pro Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Wehretat aufgewendet werden. Geeinigt wurde sich zudem auf die Lieferung von Panzerabwehrwaffen an die Ukraine und auf weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland.
Zweifelsfrei eine außen- und sicherheitspolitische 180°-Wende, die für manche impulsiv oder unüberlegt daherkommen mag. Doch die momentane Situation gebietet eine starke Reaktion. Da eine kooperative Sicherheitsordnung unter Einbindung Russlands dieser Tage unwahrscheinlicher denn je erscheint, muss das wirtschaftlich stärkste Land Europas deutlich machen, den Frieden notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen.
Bisher sehen das auch die meisten Bundesbürger so. Einer Umfrage zufolge unterstützt eine Mehrheit die Aufrüstungspläne. Doch das kann sich schnell ändern. Denn bislang ist unklar, wie das ambitionierte Vorhaben umgesetzt werden soll. Da die Bundeswehr in der Vergangenheit schon oft bewiesen hat, dass ein höherer Verteidigungsetat nicht automatisch zu einer einsatzfähigen und effizienten Truppe führen muss, sollten keine überzogenen Erwartungen gehegt werden. Bereits die vergangenen Jahre stieg der deutsche Wehretat schrittweise an, ohne das sich dadurch der Zustand der Bundeswehr verbesserte.
Gravierende Fälle von Verschwendung, wie sie bei der Restaurierung des Segelschulschiffs Gorch Fock offensichtlich wurden, lassen zudem Zweifel an einer sorgsamen Mittelverwendung aufkommen. So scheint der Geldmangel nicht das einzige Problem der Bundeswehr zu sein. Die beteiligten Akteure sollten daher darum bemüht sein, eine transparente und zielgerichtete Ausgabenpolitik sicherzustellen. Sollten die Negativschlagzeilen über die Bundeswehr anhalten, würde die gesellschaftliche Zustimmung für eine sicherheitspolitische Zeitenwende wieder sinken und die ambitionierten Pläne der Bundesregierung drohten im Nirgendwo zu versanden.
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