Die EU wächst in vielen Bereichen immer weiter zusammen. Nur im internationalen Bahnverkehr ist das Gegenteil der Fall. Dies ist dem vorsätzlichen Versagen der EU-Kommission geschuldet. Wie konnte es soweit kommen und wie kann das Bahnfahren als klimafreundliches Transportmittel auch auf internationalen Reisen etabliert werden?
Wie ist die Lage?
Das Jahr 2021 war das „Jahr der Schiene“. Seit jeher plant die EU, den Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene zu verlagern. Dafür wird seit Jahrzehnten an einem gemeinsamen Verkehrsinfrastrukturprojekt gebaut, dem Trans-European-Network (TEN). Trotzdem werden nur 7 Prozenz des EU-weiten Passagiertransports über die Schiene abgewickelt, ein verschwindend geringer Anteil im Vergleich zur Straße. Fragt man die Menschen, würden ungefähr zwei von drei EU-Bürger:innen ein Verbot von Kurzstreckenflügen unterstützen, wenn dieselbe Strecke in unter 12 Stunden mit der Bahn absolviert werden kann. Paradoxerweise gibt es an einem durchschnittlichen Tag in der gesamten EU nur 125 internationale Bahnverbindungen.
Wie kann das sein?
Nach der Vorstellung der EU-Kommission sollen sich die Eisenbahnunternehmen der Mitgliedsstaaten in einem freien und fairen Wettbewerb messen. An dessen Ende soll ein breiteres sowie günstigeres Angebot für alle Bahnreisenden stehen. Diese Vision ist so utopisch wie naiv. Durch eine fehlende Regulierung entwickelte sich ein europaweites Oligopol, welches jeglichen Wandel verhindert. Statt das Netz auszubauen und in einen Preiskampf einzutreten, ruhen sich alle Anbieter auf dem Status quo aus. Die Leidtragenden sind die Bürger:innen. Es ist leicht, die Eisenbahnunternehmen dafür verantwortlich zu machen. Allerdings handeln diese genau so, wie die EU-Kommission es ihnen vorgibt: Sie maximieren ihren Gewinn innerhalb des gegebenen legislativen Rahmens.
Was muss sich ändern?
Der internationale Eisenbahnverkehr hat drei zentrale Probleme, die ihn unattraktiv machen: Das Angebot ist zu klein, die Tickets sind zu teuer und der Buchungsprozess zu kompliziert. In allen Fällen liegt es an der Europäischen Kommission, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, welcher das eigeninteressierte nationalstaatliche Handeln der EU-Mitglieder zum Wohle aller EU-Bürger:innen unterbindet.
Durch ein einheitliches Signal- und Softwaresystem wäre es möglich, Züge in kürzerer Taktung fahren zu lassen. Genauso könnten alle Züge flexibel in allen Staaten eingesetzt werden. So würden mehr Verbindungen geschaffen, ohne dass es einen langwierigen und teuren Neubau von Strecken braucht. Ein solches europäisches technisches System existiert bereits seit 20 Jahren, wird aber nicht flächendeckend eingesetzt. Zudem verwenden viele Staaten Systeme mit nationalem „Dialekt“, da die Regularien zum Einbau nicht hinreichend eng formuliert sind. Um die Vereinheitlichung nicht zu gefährden, muss die Kommission hier dringend nachbessern.
Für die Reisenden sind die Preise ausschlaggebend, die bei Flugverbindungen fast immer niedriger sind als bei Bahnreisen. Laut der EU-Kommissarin für Verkehr kann die EU die Eisenbahnunternehmen nicht zwingen, Verluste zu erwirtschaften. Seltsamerweise ist dies nur im Fernverkehr der Fall, jedoch nicht im Regionalverkehr. Genauso müssen Fluggesellschaften in der EU keine Steuern auf Treibstoffe entrichten, Zugbetreiber jedoch Gebühren für die Nutzung bestehender Bahntrassen bezahlen. Zusätzlich fällt keine Mehrwertsteuer auf Flugtickets an, auf Bahntickets jedoch schon. Würde die Eisenbahn dieselben Privilegien wie der Flugverkehr genießen, würden die Preise in der Folge stark fallen. Es ist zynisch, dass das klimaschädlichere Transportmittel Flugzeug subventioniert wird, während die Alternative mit zusätzlichen finanziellen Bürden belegt wird.
Zuletzt ist der Buchungsprozess für internationale Bahnreisen immens kompliziert. Wer schon einmal einen Flug gebucht hat, weiß, wie einfach es ist, über Portale Preise und Routen zu vergleichen. Dies ist möglich, da Airlines ihre Buchungsdaten offenlegen. Bahnbetreibende hingegen müssen dies nicht. Eine Gesetzesinitiative des EU-Parlaments zur Änderung scheiterte an der Kommission. Berichten zufolge kam Widerstand vor allem auch aus Frankreich, Spanien und Deutschland. Da folglich keine einzelne Buchung für die gesamte Strecke gemacht werden kann, muss die Reise auf mehrere Tickets aufgeteilt werden. Damit entfällt aber der Anspruch auf eine Weiterbeförderung, sollte ein Anschluss aufgrund von Verspätungen nicht erreicht werden. Es ist unverantwortlich, die Bahnfahrenden dieses Risiko tragen zu lassen.
Wenn die Europäische Union und ihre Institutionen ein aufrichtiges Interesse daran haben, den Bahnverkehr als klimafreundliches Reisemittel zu etablieren, so müssen sie sich von der Illusion eines freien und selbstregulierenden Marktes verabschieden. Es braucht einen legislativen Rahmen, der die Eisenbahnunternehmen der einzelnen Mitgliedstaaten zu verbraucherfreundlichem Handeln zwingt. Wenn die Kommission es wirklich wollte, könnte sie diesen Rahmen auch schaffen.
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