Die fast vergessene WM in Katar: Warum die FIFA und andere Organisationen jetzt einen Freifahrtschein haben

Etwa ein halbes Jahr ist es her, dass Argentinien in Katar die WM gewann. Aus Sicht der Veranstalter lässt sich resümieren: Die WM war für Katar und die FIFA ein voller Erfolg. Aus Sicht der Kritiker bleibt nur die bittere Erkenntnis, dass sämtliche Debatten und Boykottversuche keinerlei Wirkung gezeigt haben und die FIFA sowie andere Organisationen Narrenfreiheit haben.

Kurz vor der WM und auch währenddessen wurde in Deutschland viel darüber diskutiert, ob man die WM in Katar boykottieren sollte. Boykottpotenzial gab es en masse. Das Exekutivkomitee der FIFA, welches über das Austragungsland der WM entscheidet, ist nachweislich korrupt und das Gastgeberland tritt Menschenrechte wie Frauen-, Arbeits- und LGBTQ-Rechte mit Füßen. Nicht zu vergessen die katastrophale Klimabilanz der WM. Schätzungsweise mehr als 5,2 Millionen Tonnen CO2 emittierte das Emirat für die WM in Zeiten, in denen weltweit Millionen Menschen für das Klima auf die Straße gehen. Wenn also ein Sportereignis die Menschen zu einem gemeinsamen Zuschauerboykott hätte bewegen können, dann die WM in Katar.

Der wirkungsvolle Boykott blieb jedoch aus, denn ein Boykott wäre erst dann schmerzhaft für den Veranstalter, wenn eine große Mehrheit der potenziellen Zuschauer daran teilnimmt. Ein Blick auf die Einschaltquoten der WM – mit an der Spitze bis zu 1,5 Milliarden Zuschauern – zeigt außerdem, dass ein deutscher Zuschauerboykott höchstens eine marginale Auswirkung auf die Veranstaltung und den Gewinn der FIFA gehabt hätte.

Verfechter des Boykotts verweisen auf einzelne Erfolge, die dem öffentlichen Druck zu verdanken seien. Dazu zählen verbesserte Arbeitsbedingungen von Bauarbeitern, eine nachhaltige Verbesserung der Menschenrechte vor Ort und das Versprechen Katars, die WM klimaneutral zu gestalten. Das Wunschdenken der Optimisten war es, dass Katar auch nach der WM unter Beobachtung steht und seine Versprechen halten wird. All diese Reformenstellten sich jedoch rasch wieder ein, als die Scheinwerfer sich abwandten. Katar ist heute derselbe Staat wie vor 10 Jahren, nur mit einer erfolgreich und reibungslos durchgeführten WM im Lebenslauf, welche sie für kommende Sportereignisse qualifiziert.

Und die FIFA? Sie geht in allen Belangen als Sieger aus dieser WM. Sie konnte ihre Machtposition stärken und finanziell erfreut sie sich an einem Rekordumsatz von 4,6 Milliarden Dollar allein durch die WM 2022. Am Ende lässt sich konstatieren: Die WM war für Katar und die FIFA ein Win-Win-Geschäft.

Wenn jemand etwas verändern könnte, dann die einzelnen Sportverbände, welche sich bei einem solchen Ereignis frühzeitig und geschlossen gegen die FIFA stellen müssten. Dafür müsste aus der Bevölkerung rechtzeitig öffentlicher Druck auf die Verbände ausgeübt werden, wovon man in Deutschland weit entfernt war. Ein weiteres Problem ist, dass nationale Verbände vielerorts selbst korrupt sind und eine internationale Kooperation gegen die FIFA nur schwer vorstellbar ist.

Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass solange die Sportart an sich genug Menschen begeistert, auch in Zukunft die Rahmenbedingungen einer Veranstaltung den Gewinn der Veranstalter nicht schmälern. Dieses Schema lässt sich auch auf andere Sportereignisse übertragen. Mit Blick auf Ereignisse wie Olympische Winterspiele in Saudi-Arabien lässt sich sagen: Es wird höchstwahrscheinlich ein profitables Geschäft für alle Beteiligten.


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Kommentare

2 Antworten zu „Die fast vergessene WM in Katar: Warum die FIFA und andere Organisationen jetzt einen Freifahrtschein haben“

  1. Avatar von Jan Berg
    Jan Berg

    Ich stimme mit deiner Aussage absolut überein, dass für die FIFA die WM in alles in allem ein finanzieller Erfolg war. Solange genug Menschen für solche Sportereignisse zahlen, werden die FIFA und das IOC ihre Vergabepraxis nicht ändern. Allerdings waren in Deutschland waren der WM die Einschaltquoten ungewohnt niedrig und das noch vor dem Ausscheiden in der Gruppenphase. Möglicherweise gibt es doch ein Peak-Sport und falls die Vergaben weiterhin so abstrus bleiben, könnte sich das in anderen Ländern wiederholen. Bei der Super-League hatten die europäischen Fans bereits gezeigt, dass sie gewisse Dinge nicht akzeptieren wollten. Es wäre wirklich schön, dass könnten sie auch den beiden schweizer Non-Profit Organisationen zeigen.

  2. Avatar von Yannick Schmauder
    Yannick Schmauder

    Den öffentlichen Druck auf Verbände, den du im vorletzten Abschnitt des Artikels beschrieben hast, wird momentan in deutschen Fußballstadien spürbarer denn je und setzt wichtige Signale. Mit ausbleibenden Fan-Gesängen und dem Werfen von Tennisbällen und Schokoladentalern auf die Plätze protestieren Fangemeinschaften gegen die Entscheidung Investoren in der Deutschen Fußball Liga zuzulassen. Zwar könnten bei richtiger Nutzung der Investorengelder die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Fußball Liga im internationalen Vergleich erhalten oder sogar gesteigert werden. Bedenken bezüglich Korruption und eines unromantischen, ökologisch und sozial bedenklichen Wandels des Fußball-Geschäfts in Deutschland und global bleiben nicht unberechtigt. Genauso wie die Befürchtung, dass sich die DFL der FIFA eher annähert, anstatt ihr Paroli zu bieten.

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