Ein Rentner braucht eine Hüft-OP und hat zusätzlich noch Diabetes? Jackpot, da klingelt die Kasse! Dagegen wirkt ein Kind, das nur eine Diagnose erhalten hat und zudem ein Krankenbett auf längere Zeit belegen würde, natürlich weniger lukrativ. Mit der Einführung des Fallpauschalen-Systems wurde ein derartiges Denken, bei dem Geld den Eid des Hippokrates schlägt, leider Realität. Doch wie konnte es zu solch einer Werteverfehlung kommen?
Seit 2003 sind die Zahlungen der Krankenkassen für Krankenhausleistungen nicht mehr abhängig von Patienten und deren Bettbelegungstagen. Es wird also nicht mehr nach Pflegesätzen abgerechnet. Grund hierfür: Das mitunter von Karl Lauterbach vorangetriebene diagnosebezogene Fallpauschalen-System. Nach diesem bezahlten die Krankenkassen in den letzten 20 Jahren einen einmaligen Pauschalbetrag entsprechend der jeweiligen gestellten Diagnose. So hatte jede Behandlung oder Operation ihren festgelegten Preis. Wie und wie lange tatsächlich behandelt wurde, spielte bei der Berechnung keine Rolle mehr. Ziel war es, durch ein leistungsorientiertes System Liegezeiten und damit einhergehende Kosten zu reduzieren. Doch was vor 20 Jahren als Lösung für die Kostenproblematik der Krankenhäuser gedacht war, sorgt heute dafür, dass Kliniken unter enormem ökonomischem Druck zusammenbrechen. Durch die Fallpauschalen sind sie gezwungen, ethische Werte gegen Rentabilitäts- und Profitüberlegungen auszutauschen.
Da ein solches System die Kliniken zu mehr Wirtschaftlichkeit zwingt, ist es für jedes Krankenhaus essenziell, eine Grundzahl an Patienten sicherstellen zu können. Eine Klinik bleibt nur rentabel, wenn genügend Diagnosen gestellt und schnellstmöglich abgearbeitet werden. Dementsprechend schwieriger gestaltet sich vor allem die Instandhaltung von Krankenhäusern in dünnbesiedelten ländlichen Regionen. Statistiken zufolge wurden seit 2003 bundesweit über 300 Kliniken geschlossen. Neben den Schließungen kam es seit der Einführung des Fallpauschalen-Systems zu einer Privatisierungswelle. Dadurch gibt es in Deutschland nun mehr private, gewinnorientierte Kliniken als öffentliche Allgemeinkrankenhäuser.
Durch die Corona-Krise verschlechterte sich die Lage weiter. Da den akuten Corona-Fällen platzgemacht werden musste, wurden die gewinnbringenden Operationen bzw. Bettenbelegungen zweitrangig. Auch durch diese Entwicklungen wird erwartet, dass 2023 fast die Hälfte der deutschen Krankenhäuser rote Zahlen geschrieben hat, was weitere Schließungs- bzw. Privatisierungswellen zur Folge haben dürfte.
Doch selbst wenn sich ausreichend Patienten finden, sind weitere marktwirtschaftliche Überlegungen von Nöten. Denn unterschiedliche Patienten bringen unterschiedlich viel Geld. Dementsprechend wird kategorisiert: So sind beispielsweise Personen, die mehrere Leiden haben gewinnbringender, da ihnen mehrere Diagnosen gestellt werden und den Krankenkassen somit gleich mehrere Pauschalbeträge in Rechnung gestellt werden können. Da vor allem ältere Patienten häufig Vorerkrankungen mitbringen, ist ihre Behandlung für Kliniken attraktiver als bspw. die von Kindern. Und nicht nur das. Patienten werden sogar Behandlungen unterzogen, die rein medizinisch gesehen nicht nötig wären, die aber zusätzliche Zahlungen der Krankenkassen bedeuten.
Trägt das Fallpauschalen-System also nicht letztendlich dazu bei, sich von grundsätzlichen ethischen Werten der Medizin zu entfernen? Profit darf nicht vor der Gesundheit und dem Wohlergehen der Patienten stehen. Bedürftigkeit darf nicht von Rentabilität abgelöst werden. Doch durch die aufgezwungene Ökonomisierung ist dies für Kliniken teilweise aus reiner Selbsterhaltung unumgänglich. Kommt die jetzt von Lauterbach geplante Korrektur dieses begangenen Fehlers nach 20 Jahren zu spät? So scheint es: Das Krankenhaussterben ist bereits zu weit fortgeschritten und der bereits entstandene Schaden für Patienten nicht mehr umzukehren.
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