Das Ehegattensplitting: Ein Problem für Deutschland

Das Ehegattensplitting steht aus verschiedenen Gründen schon lange in der Kritik. Ein Grund, es zu ersetzen, wird bisher aber viel zu wenig beachtet: Das Splitting verringert die durchschnittliche Arbeitszeit und damit das Arbeitsangebot in Deutschland. Ein Umstand, den sich Deutschland im Angesicht von Fachkräftemangel und prekärer Rentenfinanzierung nicht weiter leisten kann. 

Das Ehegattensplitting ermöglicht es vielen Ehen und eingetragenen Partnerschaften, ihre Einkommensteuerlast zu reduzieren. Die Wirkung ist dann besonders hoch, wenn die beiden Partner möglichst ungleich viel arbeiten bzw. verdienen. Das schafft den Anreiz, dass ein Partner nicht oder – was häufiger der Fall ist – nur in Teilzeit arbeitet. Auf diese Weise verringert sich das Volumen an Arbeitsstunden, die in Deutschland angeboten werden. Schätzungen gehen davon aus, dass dem deutschen Arbeitsmarkt aufgrund des Ehegattensplittings jährlich ein Arbeitsvolumen von mehr als einer halben Million Vollzeitstellen verlorengeht. Zum Vergleich: Das gesamte riesige Wolfsburger VW-Werk beschäftigt etwa 60.500 Mitarbeiter.

Der direkte Anreiz des Ehegattensplittings zu mehr Teilzeitbeschäftigung ist aber nur ein Grund für diese hohe Zahl. In Kombination mit anderen Regelungen verstärkt sich dieser Anreiz auch noch auf indirekte Weise. Besonders wichtig ist dabei die Kombination aus Ehegattensplitting und der Steuer- und Abgabenfreiheit von Minijobs. In vielen Partnerschaften arbeitet ein Partner Vollzeit und der andere im Rahmen eines Minijobs. Für den Minijobber ist es dann finanziell meist nicht sinnvoll, in eine substanzielle Beschäftigung zu wechseln. Das Mehr an Arbeitsstunden stünde in keinem Verhältnis zu dem finanziellen Gewinn bzw. führte teilweise zu einem effektiv niedrigeren Verdienst. Auf diese Weise stellt das Ehegattensplitting einen wichtigen Grund für die vergleichsweise geringe durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland dar.

Die durch das Ehegattensplitting nicht bereitgestellte Arbeitszeit könnte Deutschland dringend gebrauchen. Bereits 2022 konnten bundesweit mehr als 630.000 Stellen mangels qualifizierter Bewerber nicht besetzt werden. Diese Zahl wird von Jahr zu Jahr steigen, da durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation das Erwerbspersonenpotential bis 2035 voraussichtlich um etwa 7 Millionen Arbeitskräfte weiter abnehmen wird. Das mangelnde Arbeitsangebot ist nicht nur ein echter Wettbewerbsnachteil für die deutsche Wirtschaft, sondern es fehlen so auch Menschen, die unser umlagefinanziertes Rentensystem zukünftig weiter finanzieren können. Die Erhöhung der Arbeitszeit allein kann dieses Problem nicht lösen. Dennoch wäre sie ein wichtiges Instrument neben anderen, das dem Finanzierungsproblem entgegensteuern kann.

Was lässt sich also tun? Aufgrund der verfassungsrechtlichen Lage darf das Ehegattensplitting nicht ersatzlos gestrichen werden, da weder eine vollständige Einzelbesteuerung noch eine steuerliche Schlechterstellung von Ehepaaren zulässig ist. Allerdings gibt es durchaus Möglichkeiten, um aktuelle Fehlanreize zu verringern. Eine Alternative wäre beispielsweise, den Grundfreibetrag für Eheleute zu erhöhen. Das hieße, man würde den Anteil am Einkommen erhöhen, auf den jeder Ehepartner keine Steuern zahlen muss. Dies wäre eine verhältnismäßig einfache Möglichkeit, den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu folgen und zugleich falsche Anreize, weniger zu arbeiten, abzubauen. Zurzeit fehlt es an nichts als dem politischen Willen, solche Änderungen umzusetzen und so dazu beizutragen, Deutschland fit für die Zukunft zu machen.

Kommentare

1 Antwort zu „Das Ehegattensplitting: Ein Problem für Deutschland“

  1. Avatar von E.M.
    E.M.

    Sehr guter Beitrag! Neben der Verringerung des Arbeitsangebots als Problem auf gesamtgesellschaftlicher Ebene sehe ich noch ein weiteres Problem: Dadurch, dass der weniger verdienende Partner in der Ehe dazu verleitet wird, nicht oder nur geringfügig zu arbeiten, baut er/sie auch nur wenig Rentenanspruch auf, was besonders dann ein Problem ist, wenn es zur Scheidung oder zum Tod des Partners kommt, trotz aller bestehender Regelungen, die auf die Rentenproblematik in diesen Fällen zielen. Auch die Tatsache, dass diese Problematik vor allem Frauen betrifft, da sie nach wie vor meist weniger verdienen als ihre Ehegatten, ist an dieser Stelle wichtig.

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