Politiker verschiedener Parteien fordern, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen, um Geringverdiener vor Armut zu schützen. Dadurch soll der Lohn am Ende ihres Arbeitslebens für eine Rente über dem Niveau der Grundsicherung reichen. Doch genau dieses Vorhaben kann für Armut bei den Betroffenen sorgen.
Im Herbst 2014 prognostizierte das ifo-Institut, dass durch die damals geplante Einführung eines Mindestlohns bis zu 900.000 Arbeitsplätze gefährdet seien, davon 660.000 Minijobs. Stattdessen befand sich im Herbst 2018 die Zahl der Erwerbstätigen auf einem Allzeithoch von 44,81 Millionen und es wurden ungefähr fünf Millionen neue Stellen geschaffen. Insbesondere Menschen in Ostdeutschland und Frauen haben von dieser Entwicklung profitiert. Negative Auswirkungen des Mindestlohns waren und sind nicht zu beobachten. War der Mindestlohn also die richtige Entscheidung?
Ganz so einfach ist die Sache nicht, da noch längst nicht bewiesen ist, dass der Mindestlohn keinerlei Auswirkungen auf die Entstehung von Arbeitsplätzen hatte. Seit der Einführung des Mindestlohns gab es in Deutschland noch keinen wirtschaftlichen Abschwung. Aktuell herrschen sogar nahezu Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel. Zudem fand der Münchener Makroökonom Sebastian Link heraus, dass die Unternehmen 80 Prozent der Lohnerhöhung auf die Preise aufschlagen konnten, wie er bei der ifo-Konferenz „Macroeconomics and Survey Data“ im Dezember 2018 erläuterte. In wirtschaftlich schwächeren Zeiten gelingt es jedoch weitaus schlechter, den Mindestlohn in die Verbraucherpreise zu verschieben, sodass sich die Arbeitskosten der Unternehmen deutlich erhöhen können.
Auch haben einige Unternehmen im Mindestlohnbereich die offiziellen Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter gekürzt, fordern aber insgeheim eine unveränderte Arbeitsleistung. Jeder fünfte Arbeitgeber gibt dies an. Folglich hat sich der Lohn am Ende vom Monat für diese Arbeiter auch nicht erhöht. Ferner wird der Mindestlohn nicht immer eingehalten. Je nach Schätzung beträgt der Anteil der Menschen, denen ein Mindestlohn zusteht, die ihn aber nicht bekommen, zwischen 800.000 und 1,8 Millionen – bei vier Millionen Anspruchsberechtigten. Bei steigendem Mindestlohn wäre zu erwarten, dass noch mehr Unternehmen versuchen, den Mindestlohn zu umgehen. Unter diesen Umständen und noch dazu in Zeiten, in denen die Konjunkturprognosen ständig nach unten korrigiert werden, wäre es hochgradig riskant, über die von der Mindestlohnkommission vorgeschlagene Erhöhung des Mindestlohns von 8,84 Euro (2018) auf 9,19 Euro (2019) hinauszugehen.
Natürlich ist die Forderung, von seiner Hände Arbeit leben zu können, ehrenwert, allerdings können Menschen nicht gezwungen werden, Produkte zu kaufen, die sich aufgrund höherer Lohnkosten deutlich verteuern. Zudem können Unternehmen nicht gezwungen werden, Menschen einzustellen, wenn deren Lohnkosten zu hoch sind. Und keine Arbeit zu haben, bedeutet ein vielfach erhöhtes Armutsrisiko im Vergleich zu einer gering bezahlten Arbeit. 27 Prozent der Mindestlohnbezieher leben in armutsgefährdeten Haushalten. Dagegen sind vor allem jene armutsgefährdet, die überhaupt keinen Job haben – drei Viertel der Menschen aus armutsgefährdeten Haushalten sind arbeitslos. Entsprechend könnte nur ein Viertel der Menschen in armutsgefährdeten Haushalten überhaupt von einer Mindestlohnsteigerung profitieren.
Ein weiteres Armutsrisiko ist es, nicht Vollzeit arbeiten zu können. Hiervon sind hauptsächlich Frauen betroffen, da vor allem sie es sind, die unentgeltliche Arbeit im familiären Bereich wie Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen leisten. Bei einer Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche wirkt sich kein Mindestlohn existenzsichernd aus. Es sind aber genau diese Personen, deren Arbeitsplätze durch eine deutliche Mindestlohnerhöhung besonders gefährdet wären. Mehrheitlich Frauen arbeiten in niedrig bezahlten Branchen, die geringe Produktivitätszuwächse haben und die deshalb von einer Erhöhung des Mindestlohns stark betroffen wären. Somit machen es sich Politiker, die einen höheren Mindestlohn als Schutz vor Armut sehen, zu einfach.
Beitragsbild: Svenja Schwind
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