Europäische Arbeitslosenrückversicherung: Eine Frage der Vernunft

Der Titel des Koalitionsvertrages „Ein neuer Aufbruch für Europa […]“ der aktuellen Regierungsparteien verspricht Großes. Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) preschte voran und brachte den Vorschlag einer Europäischen Arbeitslosenrückversicherung ins Spiel. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Es war die Rede von Deutschland als Zahlmeister Europas, von der Vergemeinschaftung von Risiken und dem Schreckgespenst einer Transferunion. Diese Kritik ist wenig überzeugend.

Im Kern geht es in dem Vorschlag von Olaf Scholz um folgendes: In wirtschaftlich guten Zeiten zahlen die Länder der Eurozone Beiträge in einen gemeinsamen europäischen Fonds ein. Steigt infolge einer Krise die Arbeitslosigkeit in einem Land sprunghaft an, kann es auf die eigenen, in dem Fonds angesparten Gelder zurückgreifen und, sollten diese nicht ausreichen, sich zusätzliche Mittel aus den Rücklagen der anderen Länder leihen. Die Auszahlung der Mittel ist zeitlich begrenzt und hängt von der Veränderung der Arbeitslosigkeit und nicht von deren Niveau im jeweiligen Land ab. Diese sowie weitere Mindestanforderungenverhindern, dass ein Land die hohe Arbeitslosigkeit eines anderen Landes dauerhaft subventionieren muss.

Eine solche Rückversicherung der Arbeitslosenunterstützung stärkt die Haushaltsdisziplin der Regierungen. Allzu häufig neigen diese dazu, ihre Bürger mit Wahlgeschenken zu beglücken, um ihre Wiederwahl zu sichern. In einer Krise fehlt dann Geld und die Regierungen sind zu Ausgabenkürzungen oder Steuer- bzw. Sozialabgabenerhöhungen gezwungen. Auch in Deutschland sind die Regierungsparteien, trotz der vielfach beschworenen Schwarzen Null und der Haushaltsdisziplin einer schwäbischen Hausfrau, nicht vor diesen kurzfristigen Verlockungen gefeit. Erst Anfang dieses Jahres wurde der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung ungeachtet der sich eintrübenden Konjunkturaussichten gesenkt und liegt aktuell bei 2,5 Prozent. Mitte der 2000er Jahre lag er noch bei 6,5 Prozent, also mehr als zweieinhalbmal so hoch. Die verpflichtende Bildung von Rücklagen würde die langfristige Perspektive stärker in den Mittelpunkt rücken.

Durch die Rücklagen stehen einem Land zusätzliche Mittel zur Verfügung, um die Kosten eines krisenbedingten sprunghaften Anstiegs der Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Kürzungen von Ausgaben bzw. die Erhöhung von Steuern und Sozialabgaben fallen weniger stark aus. Dies führt zu einer Stabilisierung der Lage. In Spanien verschlechterte sich z.B. die Situation während der „Eurokrise“ zunächst weiter, trotz oder gerade wegen der vollzogenen Haushaltskonsolidierungen. Das Zahlen von Beiträgen in guten Konjunkturzeiten wirkt zudem einem Überhitzen der Wirtschaft entgegen. Somit werden einzelne Konjunkturspitzen geglättet und konjunkturelle Zyklen abgeschwächt.

Eine Europäische Arbeitslosenrückversicherung gibt darüber hinaus der Fiskalpolitik ein gutes Instrument in die Hand, um asymmetrische Schocks im Euroraum zu bewältigen. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank muss sich stets an der gesamtwirtschaftlichen Situation im Euroraum ausrichten und ist daher ungeeignet, um auf Wirtschaftseinbrüche in einzelnen Euroländern zu reagieren. Eine Europäische Arbeitslosenrückversicherung kann gezielt einzelne, von Krisen getroffene Länder finanziell unterstützen, dadurch einer Krise lokal entgegenwirken und so die Ausbreitung auf andere Euroländer verhindern. Szenarien, in denen ein Euroland nach dem anderen umzukippen droht, wie im Falle der Griechenlandkrise, wären deutlich unwahrscheinlicher.

In den USA existiert eine Rückversicherung der Arbeitslosenunterstützung schon lange, trotz der unterschiedlichen Versicherungssysteme der jeweiligen Staaten. Eine Europäische Arbeitslosenrückversicherung würde den Euroraum als Ganzes und jedes Euroland für sich konjunkturunabhängiger und krisenfester machen. Die Einführung einer Europäischen Arbeitslosenrückversicherung ist keine Frage der Solidarität, sondern der Vernunft. Höchste Zeit vernünftig zu sein.


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